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Am 3. Mai (1997) kam der "Europäische Marsch gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung" nach Berlin. Zwei Tage zuvor war er von der polnischen Grenze losgegangen und sollte am 14. Juni in Amsterdam (!) ankommen. Zu diesem Anlaß hatten die Glücklichen Arbeitslosen angekündigt, eine Gegenleistung zu erbringen, nach dem Motto: "Wir bleiben liegen!" auf einer an den Veranstaltungsort angrenzenden Wiese machten wir es uns in Liegestühlen und auf Decken bequem, nachdem wir Schilder aufgestellt hatten, die unsere Absichten beleuchteten. Wir verkosteten einige Flaschen unseres hauseigenen Sektes "Chômeur Brut" und konversierten freudig miteinander. Obwohl die Sonne zum Rendezvous erschienen war, schafften es nur wenige von uns, eine solche Anstrengung zu unternehmen, aber die Marschierenden waren auch nicht viel zahlreicher - und waren noch nicht mal arbeitslos, bis auf einen einzigen, der sich vernünftigerweise zu uns gesellte, sondern Gewerkschaftler, Studenten und Politiker, immer bereit die Arbeit der anderen zu unterstützen. So kam es, daß wir ohne weitere Aktivität eine Art von träger Aufmerksamkeit auf uns zogen, verschiedene Sympathiebezeugungen sowie äußerst unpassende Angebote. Folgendes sahen wir uns genötigt abzulehnen: Interviews, Redebeiträge auf einer Versammlung, Teilnahme an einer "Sklavenkarawane", Verteilung unserer Flugschriften "Gleiche Ausbeutung für alle". Letztere hatten wir vor uns auf der Wiese deponiert und die Neugierigen mußten sich angesichts unseres Unwillens selbst bedienen. Als der armselige Marsch endlich weiteren öden Orten entgegengegangen war, verweilten wir noch einen Moment und weideten uns an der Perplexität der Vorübergehenden. So war das. Abgesehen von einem Artikel im Neuen Deutschland ist unsere Nichttat von der großen Öffentlichkeit ebenso unbeachtet geblieben wie der Marsch an sich, der uns als Vorwand gedient hatte. Wir aber sehen darin keinen Anlaß zur Klage, denn wir haben einen unterhaltsamen Moment verbracht und nette Bekanntschaften gemacht. Kleine Flüsse formen den Strom und das Flußbett ist tief... | Am 3. Mai (1997) kam der "Europäische Marsch gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung" nach Berlin. Zwei Tage zuvor war er von der polnischen Grenze losgegangen und sollte am 14. Juni in Amsterdam (!) ankommen. Zu diesem Anlaß hatten die Glücklichen Arbeitslosen angekündigt, eine Gegenleistung zu erbringen, nach dem Motto: "Wir bleiben liegen!" auf einer an den Veranstaltungsort angrenzenden Wiese machten wir es uns in Liegestühlen und auf Decken bequem, nachdem wir Schilder aufgestellt hatten, die unsere Absichten beleuchteten. Wir verkosteten einige Flaschen unseres hauseigenen Sektes "Chômeur Brut" und konversierten freudig miteinander. Obwohl die Sonne zum Rendezvous erschienen war, schafften es nur wenige von uns, eine solche Anstrengung zu unternehmen, aber die Marschierenden waren auch nicht viel zahlreicher - und waren noch nicht mal arbeitslos, bis auf einen einzigen, der sich vernünftigerweise zu uns gesellte, sondern Gewerkschaftler, Studenten und Politiker, immer bereit die Arbeit der anderen zu unterstützen. So kam es, daß wir ohne weitere Aktivität eine Art von träger Aufmerksamkeit auf uns zogen, verschiedene Sympathiebezeugungen sowie äußerst unpassende Angebote. Folgendes sahen wir uns genötigt abzulehnen: Interviews, Redebeiträge auf einer Versammlung, Teilnahme an einer "Sklavenkarawane", Verteilung unserer Flugschriften "Gleiche Ausbeutung für alle". Letztere hatten wir vor uns auf der Wiese deponiert und die Neugierigen mußten sich angesichts unseres Unwillens selbst bedienen. Als der armselige Marsch endlich weiteren öden Orten entgegengegangen war, verweilten wir noch einen Moment und weideten uns an der Perplexität der Vorübergehenden. So war das. Abgesehen von einem Artikel im Neuen Deutschland ist unsere Nichttat von der großen Öffentlichkeit ebenso unbeachtet geblieben wie der Marsch an sich, der uns als Vorwand gedient hatte. Wir aber sehen darin keinen Anlaß zur Klage, denn wir haben einen unterhaltsamen Moment verbracht und nette Bekanntschaften gemacht. Kleine Flüsse formen den Strom und das Flußbett ist tief... |
Revision as of 17:00, 11 November 2005
Contents
Neuester Untätigkeitsbericht Der Glücklichen Arbeitslosen
Am 3. Mai (1997) kam der "Europäische Marsch gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung" nach Berlin. Zwei Tage zuvor war er von der polnischen Grenze losgegangen und sollte am 14. Juni in Amsterdam (!) ankommen. Zu diesem Anlaß hatten die Glücklichen Arbeitslosen angekündigt, eine Gegenleistung zu erbringen, nach dem Motto: "Wir bleiben liegen!" auf einer an den Veranstaltungsort angrenzenden Wiese machten wir es uns in Liegestühlen und auf Decken bequem, nachdem wir Schilder aufgestellt hatten, die unsere Absichten beleuchteten. Wir verkosteten einige Flaschen unseres hauseigenen Sektes "Chômeur Brut" und konversierten freudig miteinander. Obwohl die Sonne zum Rendezvous erschienen war, schafften es nur wenige von uns, eine solche Anstrengung zu unternehmen, aber die Marschierenden waren auch nicht viel zahlreicher - und waren noch nicht mal arbeitslos, bis auf einen einzigen, der sich vernünftigerweise zu uns gesellte, sondern Gewerkschaftler, Studenten und Politiker, immer bereit die Arbeit der anderen zu unterstützen. So kam es, daß wir ohne weitere Aktivität eine Art von träger Aufmerksamkeit auf uns zogen, verschiedene Sympathiebezeugungen sowie äußerst unpassende Angebote. Folgendes sahen wir uns genötigt abzulehnen: Interviews, Redebeiträge auf einer Versammlung, Teilnahme an einer "Sklavenkarawane", Verteilung unserer Flugschriften "Gleiche Ausbeutung für alle". Letztere hatten wir vor uns auf der Wiese deponiert und die Neugierigen mußten sich angesichts unseres Unwillens selbst bedienen. Als der armselige Marsch endlich weiteren öden Orten entgegengegangen war, verweilten wir noch einen Moment und weideten uns an der Perplexität der Vorübergehenden. So war das. Abgesehen von einem Artikel im Neuen Deutschland ist unsere Nichttat von der großen Öffentlichkeit ebenso unbeachtet geblieben wie der Marsch an sich, der uns als Vorwand gedient hatte. Wir aber sehen darin keinen Anlaß zur Klage, denn wir haben einen unterhaltsamen Moment verbracht und nette Bekanntschaften gemacht. Kleine Flüsse formen den Strom und das Flußbett ist tief...
Das Flugblatt dazu:
Gegen Arbeitslosigkeit Und Ausgrenzung
Gleiche Ausbeutung Für Alle!
Wir wollen arbeiten. Ja wir wollen arbeiten, unter jeder Bedingung und um jeden Preis. Es geht nicht um Geld, sondern um unser Sozialprestige, unser Vertrauen in uns selbst und in die Zukunft, schließlich um unsere Freiheit, da berühmte Soziologen es längst festgestellt haben : Arbeit macht frei. Zu lange sind wir ausgeschlossen und uns selbst ausgeliefert gewesen, was asoziale Gewohnheiten mit sich brachte. Jeden Tag haben wir im Bett gefrühstückt, geknutscht und weitergepennt. Haben wir etwas unternommen, dann war es ohne Befehl von oben und ohne uns um die Rentabilität zu kümmern. Während die Prominenz so viele Sorgen mit der Währungsunion, den Japanern und alles hat, während der eingegliederte Bürger ständig gestreßt schuftet, haben wir uns die Zeit genommen und – so schwer fällt es zu beichten – uns manchmal richtig gut amüsiert. Und das alles auf Staatskosten, wo der Staat schon Schwierigkeiten genug hat, die Unternehmer zu subventionieren. Dafür werden wir nie genug büßen können, das ist klar.
Deshalb wollen wir nach Amsterdam marschieren, wo unsere vertrauten Regierungschefs tagen. Helmut Kohl hat zwar versprochen, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, und die Engländer haben es sogar fast geschafft durch die Beschaffung schöner Jobs wie Hundesitter, niedrigere Löhne als in Korea (ha ha, endlich haben wir denen eins drübergezogen, den Koreanern) und die Ausradierung aller Faulenzer, doch das reicht längst noch nicht. Die Arbeitslosigkeit muß abgeschafft werden.
Für die Vollbeschäftigung - Wir schlagen vor:
1. Die Nivellierung des Erzgebirges und anderer nutzloser Hügel mit Kreuzhacken und Schaufeln, der Steintransport zu Fuß und auf eigenem Rücken bis zu den Industriewüsten des Ostens, und die dortige Errichtung von Riesenpyramiden zu Ehren des Bundeskanzlers, des Weltbankvorsitzenden und anderer Pharaonen des heiligen Marktes. Diese Pyramiden werden künftig den Welttourismus anziehen und wiederum schöne Arbeitsplätze schaffen. Zum Beispiel: Pyramiden-High-tech-Ingenieure und vor allem Leute, die die entsprechenden Computer in Gang halten. Sogar für Arbeitslose mit real- oder gar Hauptschulabschluß wird es vielfältige Einsatzmöglichkeiten geben, z.B. beim Catering Service oder Erotik und Konversation Service oder bei "Call jemanden, der dir die Schuhe zubindet und dabei über deinen Lieblingswitz lacht."
2. Um die ausländische Konkurrenz zu beseitigen, fordern wir die Einführung eines Maximallohns, der nicht höher als die des billigsten Landes sein sollte, sagen wir mal 100 DM, dann abwärts.
3. Die Beschäftigung aller computerkompatiblen Arbeitslosen in virtuellen Betrieben, zur Leistung virtueller Dienste, bezahlt mit virtuellem Geld. Dafür sind schon zahlreiche leere Bürotürme in Berlin vorhanden.
4. Die sofortige Privatisierung der Luft. Warum? Erstens, weil es kontraproduktiv ist, daß irgendetwas auf dieser Erde kostenlos bleibt. Zweitens, weil es unmoralisch ist, daß Faulenzer und Penner sich das gleiche Recht zu atmen nehmen, als tüchtige Arbeiter. Vor allem aber, weil diese Maßnahme die Endlösung der Arbeitslosenfrage mit sich bringen wird: Sie wird neue Jobs schaffen, wie: Lungenkapazitätsvermesser, Luftgeldkassierer, Atemaufseher usw. Und alle Sozialschmarotzer, die sich bald kein Atemzug mehr leisten können werden, werden endlich aus unserer Sicht verschwinden. Es bleibt zu überprüfen, ob die Eurogesetze gestatten, noch mehr Arbeitsplätze durch die Verarbeitung der Ex-Arbeitslosen in Seife, Lampenschirme usw. zu schaffen.
Ja dafür sind wir bereit, barfuß, angefesselt, im Zickzack, drei Schritte nach vorne, zwei nach hinten, bis Tokio und weiter zu laufen. Unterwegs wollen wir uns gegenseitig peitschen und jedesmal, wenn wir einem integrierten Krawattenträger begegnen, werden wir vor seinen Füßen niederknien und "Gnade! Gnade!" schreien.
Freiwillige Knechte e.V.
Mai 1997