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* Helge Döhring: Die Presse der syndikalistischen Arbeiterbewegung in Deutschland 1918 bis 1933, Edition Syfo 1, Moers 2010, ISBN 978-3-9810846-8-9
 
  
 
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Die 'Schwarzen Scharen': Der militante Widerstand der AnarchosyndikalistInnen gegen den entstehenden Nationalsozialismus

Auf die Konsolidierung der NSDAP reagierte die FAUD(AS) im Herbst 1932 mit der Herausgabe einer Broschüre, in der eindringlich vor einer "überflüssigen Soldatenspielerei" und vor "unnötigen bewaffneten Aktionen" in der "Bekämpfung der SA" gewarnt wird.[1] Gerhard Wartenberg, der die Schrift im Auftrag der Berliner Geschäftskommission verfaßt hatte, richtete seine Kritik zwar insbesondere an die Adresse der KPD, er kritisierte aber darüber hinaus jede Form der "Zersplitterung" einer einheitlichen antifaschistischen Linie durch die "Sonderinteressen" parteipolitischer oder paramilitärischer Gruppierungen. In der Betonung des »Klassencharakters« unterscheidet sich Wartenbergs Interpretation des Nationalsozialismus als soziales Phänomen nicht wesentlich von der damaligen marxistischen Faschismusanalyse:

"Wir können [ . . ] den Nationalsozialismus bezeichnen als eine unklare Bewegung hauptsächlich der Mittelschichten in Stadt und Land, die aus der schlechten wirtschaftlichen Lage geboren wurde und von den großkapitalistischen Drahtziehern zum Kampfe gegen das Proletariat, gegen Demokratie und Internationalismus mißbraucht wird." [2]

Die innerhalb der FAUD(AS) im übrigen stark variierenden Auffassungen über den Nationalsozialismus negierten den politischen und auch irrationalen Charakter dieser Bewegung, wenn er hier als gesellschaftliche Massenerscheinung zu einer Reaktionsform bestimmter Bevölkerungsschichten auf ökonomische Bedingungen reduziert wird. Andere AutorInnen legten in ihren Erklärungsmustern wiederum ein besonderes Gewicht auf die sozialpsychologischen Aspekte der von ihnen registrierten Neigung zu autoritären Einstellungen in der Bevölkerung. Die entstehende Massenbewegung war demnach als der extremste Ausdruck einer übersteigerten Identifikation mit der Staatsidee zu verstehen: "Die Wurzeln des Faschismus ruhen in der Massenpsyche, die den Staat für unbedingt notwendig zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung hält".[3]

Schon nach dem erdrutschartigen Sieg der NSDAP bei den Reichstagswahlen des Jahres 1930, herrschten in der FAUD(AS) keine Illusionen über die Konsequenzen, die eine nationalsozialistische Diktatur für die Organisation bedeuten würde.[4] Da der Nationalsozialismus als eine diktatorische Ausprägung des Kapitalismus betrachtet wurde, setzte die FAUD in ihrer Strategie auf die Destabilisierung seiner wirtschaftlichen Basis und propagierte die revolutionäre und direkte Massenaktion des Generalstreiks. Zur Abwehr der nationalsozialistischen Terrorherrschaft sollte deshalb im Augenblick der Machtübernahme der NSDAP der Vorstand des ADGB zur Proklamation eines allgemeinen "Proteststreiks" bewegt werden.[5]

Als sich gegen Ende der zwanziger Jahre die Auseinandersetzungen der linken Verbände mit den Unterorganisationen der NSDAP zu verschärfen begannen, kam es im Oktober 1929, ausgehend von den Aktivitäten der Funktionäre Paul Czakon [6], Theodor Bennek und Alfons Pilarski [7], in den oberschlesischen FAUD-Ortsgruppen Ratibor und Beuthen zur Formierung einer militanten, uniformierten Organisation - den 'Schwarzen Scharen'.[8]

Die 'Schwarzen Scharen' können als ein kleineres, anarchosyndikalistisches Pendant zum 'Rotfrontkämpferbund' der KPD bezeichnet werden. Im Gegensatz zum 'Rotfrontkämpferbund' betrachteten sich die 'Schwarzen Scharen' als eine unabhängig operierende "Ergänzungsorganisation" der FAUD(AS).[9] Als eigenständige Verbände waren sie weder den Ortsgruppen der FAUD noch deren Berufsföderationen direkt angegliedert.[10] In einer Zeit, in der die anarchosyndikalistische Bewegung sichtlich stagnierte, konnten die 'Schwarzen Scharen' ihrerseits deutliche Zuwächse verzeichnen, so daß einige Ortsverbände in Oberschlesien stärker als die dortige FAUD wurden und in Einzelfällen sogar die kommunistischen Arbeiterwehren an Zahl übertrafen.[11]

In den Gruppen wurde Wert auf eine einheitliche (schwarze) Kleidung gelegt. Die mehr oder weniger improvisierte Uniformierung konnte die 'Schwarzen Scharen' als einen kleinen, straff durchorganisierten »Kampfverband« mit einem semimilitärischen Milizcharakter erscheinen lassen. Teilweise rüsteten sich Einzelpersonen in den Gruppen mit Schußwaffen aus und wurden anscheinend sogar in Feuergefechte verwickelt.[12] Als weiteres Indiz für die Militarisierung der 'Schwarzen Scharen' kann die Einrichtung eines Sprengstofflagers in Beuthen gelten, das im Mai 1932 von der Polizei ausgehoben wurde.[13]

Regional dehnten sich die örtlichen Gruppierungen zunächst auf das Gebiet Oberschlesien aus und erstreckten sich seit 1930 auch auf Mitteldeutschland, das Rheinland [14] und Groß-Berlin. Neben ihren antifaschistischen Aktivitäten, die teilweise in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen des linken Spektrums durchgeführt wurden [15], sind die 'Schwarzen Scharen' auch als ein Versuch zu werten, mittels einer intensivierten Durchstrukturierung und Einheitlichkeit in der Öffentlichkeit verstärkt Präsenz zu zeigen und durch spektakuläre Propagandaaktionen (Musikzüge, motorisierte Demonstrationszüge, Theatergruppen usw.) dem andauernden Niedergang der FAUD als einer politischen »Kampforganisation« zu entgehen.

Die Agitation der 'Schwarzen Scharen' wandte sich nun etwas vom städtischen Industrieproletariat ab und richtete sich zusätzlich auf die Mobilisierung der Landarbeiterschaft und der Kleinbauern. Alle Anstrengungen der FAUD(AS), eine neue organisatorische Basis im Landarbeiterproletariat aufzubauen, erwiesen sich als Fehlschlag. Mit den 'Schwarzen Scharen' zeigte sich allerdings bald, daß durch einen in zeitgemäßeren Aktionsformen organisierten Antifaschismus dem Abwärtstrend des anarchosyndikalistischen Basisverbandes erfolgreich entgegengewirkt werden konnte.

Über die exakte Gesamtstärke der 'Schwarzen Scharen' kann nur spekuliert werden. Bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme läßt sich ihre Mitgliederzahl auf 250 bis 500 Aktivisten veranschlagen.[16] Trotz der zum Teil recht massiven Kritik von seiten der SAJD und der FAUD an der Militarisierung der Kampfformen und einer zu oberflächlichen Popularisierung anarchosyndikalistischer Inhalte blieb die eigentliche Zielsetzung, mittels einer militanteren Strategie zur Sicherung der eigenen, unmittelbaren Interessensphäre und damit gleichzeitig zur Rekrutierung neuer Mitglieder beizutragen, nicht ohne Resonanz.

Die Geschäftskommission der FAUD(AS) sah anscheinend in dem Aktionismus der 'Schwarzen Scharen' die Gefahr einer allmählichen Erosion der organisatorischen und ideologischen Kohärenz gegeben. Der agitatorische Ansatzpunkt der anarchosyndikalistischen Ideenpropaganda sollte dementsprechend weiterhin primär im ökonomischen Bereich liegen, zumal mit einer Verwicklung in Straßenkämpfe ein Rückfall in den politischen Terrorismus des 19. Jahrhunderts befürchtet wurde.[17] Im Juli 1930 distanzierte sich die Bezirkskonferenz der SAJD im Rhein-Maingau entschieden von der militanten Tendenz der 'Schwarzen Scharen':

"Die Mehrzahl der Genoss(Inn)en stand auf dem Standpunkt, daß Einheitskleidung und Schwarze Scharen zu einer Militarisierung unserer Jugend führen würden, wodurch unser jahrelanger Kampf gegen Krieg und Militarisierung der Jugend zur Farce werde. Es wurde gesagt, daß Mangel an Geist sich nicht durch Schablonisierung und Mechanisierung ersetzen läßt." [18]

Nachdem sich in den Versammlungen der FAUD(AS) die Fälle von Störungen durch die Ãœbergriffe der Nationalsozialisten häuften, mußte jedoch bald öfter auf die 'Schwarzen Scharen' als »Saalschutz« zurückgegriffen werden.[19]

Eine besondere Bedeutung besaßen die 'Schwarzen Scharen' aufgrund ihrer Mobilisierungs- und Sozialisationswirkung für den Widerstand einer Anzahl von jüngeren FAUD-MilitantInnen, die aus der Illegalität nach Spanien ins Exil gingen, um dort, als 'Deutsche Anarcho-Syndikalisten (DAS), ihren Kampf gegen den Faschismus fortzusetzen.


Anmerkungen

  1. H. W. Gerhard, (d. i. G. Wartenberg), Ãœber Hildburghausen ins dritte Reich!, Nationalsozialismus und Arbeiterklasse, Berlin 1932. Reprint Berlin 1981, S. 28.
  2. Ebd., S. 26. Diese Einschätzung entspricht jedoch nicht einer generellen Typisierung des Nationalsozialismus in der FAUD. Rudolf Rockers Definition ging dahin, den Nationalsozialismus als die übersteigerte Form eines Nationalismus und folglich als Ausdruck des Kulturabstiegs einzustufen. Helmut Rüdiger führte die nationalsozialistische Einstellung der Bevölkerung auf ihre militaristische Erziehung zurück und stellte den Nationalsozialismus überdies in die imperialistische Tradition des Kaiserreichs. Vgl. die Beiträge von H. Rüdiger und R. Rocker in: 'Die Internationale'. Neue Folge, 1. Jg. (1934), Nr. 2.
  3. K. R. (= Karl Roche), "Was ist Faschismus", in: 'Der Syndikalist', 12. Jg. (1930), Nr. 27 (Beil.).
  4. Nach der Wahl wurde resümiert: "Einmal im Besitz der Macht, würden die Nazis vor keinem Gewaltmittel zurückschrecken, um die sozialistische Propaganda [. . .] zu unterdrücken." Siehe: A. Souchy, "Der Faschismus im Anmarsch", im 'Pressedienst der I.A.A.', abgedruckt in: 'Der Syndikalist', 12. Jg. (1930), Nr. 44.
  5. Vgl. Ebd.
  6. Der Bergarbeiter Paul Czakon (1896-1952) galt seit 1921 als einer der aktivsten Funktionäre der FAUD in Oberschlesien. Im März 1933 wurde Czakon wegen Hochverrats und Sprengstoffverbrechen zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, konnte jedoch nach Spanien fliehen. Im spanischen Bürgerkrieg wurde er als Kriegskommissar »Maximo« bekannt. Czakon starb an den Folgen seiner Internierung in einem französischen Gefangenenlager, das später der Gestapo übergeben wurde.
  7. Alfons Pilarski (geb. 1902) und Theodor Bennek (geb. 1897) gaben ab 1928 die sozialrevolutionär ausgerichtete Zeitschrift 'Freiheit. Politische Wochenschrift für Schlesien und Oberschlesien' heraus. Auf die beiden bekanntesten FAUD-Funktionäre in Schlesien richtete sich nach 1933 das besondere Interesse der politischen Polizei. Während Pilarski nach Polen flüchten konnte, geriet Bennek in Haft und wurde am 26. Oktober 1935 in das KZ Sachsenhausen eingeliefert. Bennek überlebte den Krieg schwerkrank.
  8. Siehe dazu im folgenden: U. Linse, "Die »Schwarzen Scharen« - eine antifaschistische Kampforganisation deutscher Anarchist(Inn)n", in: AGWAB, Nr. 9 (1989), S. 47-66.
  9. Siehe die "Richtlinien der Schwarzen Schar, Bezirk Berlin-Brandenburg", zit. ebd., S. 62 f. In Oberschlesien kam es aufgrund der fehlenden Präsenz der SAJD nur zu wenigen organisatorischen Überschneidungen.
  10. Vgl. U. Linse, Militante Abwehr des Nationalsozialismus 1929-1933: "Schwarze Scharen" und "Kampfgemeinschaften gegen Reaktion und Faschismus", unveröfftl. Mskr., 1991, S. 2.
  11. Siehe ebd. In Katscher folgte erst aus der dortigen 'Schwarzen Schar' die Gründung der örtlichen FAUD. Vgl. 'Der Syndikalist', 13. Jg. (1931), Nr. 19.
  12. Vgl. U. Linse, Die »Schwarzen Scharen« . . ., S. 56.
  13. Vgl. U. Linse, Militante Abwehr des Nationalsozialismus 1929-1933, S. 4. In Ratibor existierte noch ein weiteres Sprengstofflager.
  14. Näheres über die 'Schwarzen Scharen' in Wuppertal findet sich bei: U. Klan und D. Nelles, »Es lebt noch eine Flamme«, S. 255 ff. Ulrich Linse führt für die Jahre 1929 und 1933 neben den sechs oberschlesischen Gruppen eine Anzahl weiterer Ortsgruppen im Reichsgebiet auf. Vgl. U. Linse, Die »Schwarzen Scharen« . . ., S. 51 ff. Neben diesen Gruppen in Berlin-Brandenburg, Darmstadt und Wuppertal sowie einer Gruppierung in Bochum existierte die Arbeiterwehr der 'Schwarzen Rebellen' in Stuttgart. In Kassel bestand eine Gruppe um Willi Paul (1897-1979), von der das Blatt 'Die Schwarze Horde' vertrieben wurde. Paul konnte wie der ebenfalls aus Kassel stammende Fred Schröder nach Spanien exilieren, wo sie zur Gruppe 'DAS' stießen.
  15. In Berlin wurde z. B. am 31. 1. 1931 eine größere antifaschistische Massenversammlung abgehalten, an der sich außer der FAUD(AS) auch der 'Bund revolutionärer Industrieverbände', die USPD, die GpF und der 'Freie Arbeiter-Sänger Bund' beteiligten. Siehe: 'Der Syndikalist', 13. Jg. (1931), Nr. 5. In Thüringen bildete sich eine gemeinsame 'Schwarze Schar' aus der FAUD-Ortsgruppe Suhl und der KAPD/AAU-Ortsgruppe Ruhla.
  16. Die Polizei rechnete 1931 mit 250 Mitgliedern. Vgl. U. Linse, Die »Schwarzen Scharen« . . ., S. 62 u. S. 66 (Anm. 49). Die Stärken der Ortsgruppen nahmen bis 1932 rapide zu. Siehe: U. Linse, Militante Abwehr des Nationalsozialismus 1929-1933, S. 14.
  17. Vgl. zur Kritik an den 'Schwarzen Scharen', U. Linse, Die »Schwarzen Scharen« . . ., S. 59 ff.
  18. Stellungnahme auf der Bezirkskonferenz der SAJD in Darmstadt am 6. 7. 1930, in: 'Der Syndikalist', 12. Jg. (1930), Nr. 30 (Beil).
  19. Die 'Schwarzen Rebell(inn)en' in Stuttgart waren einzig aus diesem Grund entstanden. Vgl. 'Der Syndikalist', 12. Jg. (1930), Nr. 26 (Beil. ).

siehe auch

Anarcho-Syndikalismus, FAU, FAUD

Weblinks

  • Die "Schwaren Scharen", Darstellung von Hartmut Rübner aus seinem Buch: 'Freiheit und Brot', Berlin 1994. [1]
  • syndikalismusforschung.info Das Informationsportal zur Geschichte der syndikalistischen Arbeiterbewegung
  • Audiopodcast von "Radio Chiflado"[2]

Kategorie:FAUD Kategorie:Geschichte