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Revision as of 16:35, 20 July 2007
Utopisch leben
von Maria Obenaus und Falk Beyer
fiktiv
Ich lief den holprigen Feldweg entlang und gelangte zum Ortseingang. Hunger hatte ich, und so fragte ich ein paar tollende Kinder, wo ich denn wohl ein Restaurant finden könnte. Die Knirpse guckten mich mit großen Augen an "ein waaaaas?" und ich erklärte ihnen, dass ich etwas essen will. "Ach so, sag das doch gleich! Also heute wird in der VoKü unten am Fluss gekocht, dort gibt's meist Suppe. Am Tanzplatz da hinten ist auch eine, wenn du dich beeilst, kriegst du vielleicht noch von den leckeren Seitan-Bratlingen was ab... oder du gehst zur "VoKü im bunten Haus" - die machen aber immer nur Rohkost..." Was auch immer so eine VoKü ist, ich schlenderte zum Fluss.
Dort stand ein riesiger dampfender Suppenkessel auf dem Tisch, Menschen saßen angeregt plaudernd und diskutierend in kleinen Grüppchen an den Tischen und auf der Wiese, oder löffelten auch nur hungrig aus ihren Schüsseln. Ich schaute mich nach der Bedienung um, konnte aber keine entdecken. So gesellte ich mich zu drei sympathisch wirkenden Menschen mit Suppentellern in der Hand und fragte die um Rat. So erfuhr ich, dass sich hier jede einfach an dem Suppentopf bedient, soviel Hunger sie hat. Als ich fragte, was denn der Teller Suppe koste, guckten mich die drei verduzt an. Nein nein, ich solle nur einfach essen, aber es wär gut, nachher beim Abwasch zu helfen. Und für morgen werden noch Menschen gesucht, die beim Kartoffeln schälen helfen. Sie zeigten mir eine große Tafel mit einem Kalender, da standen bei vielen Tagen Namen mit einem Vermerk wie "Bohneneintopf kochen - wer hilft mit?"...
Die meisten der Menschen hier im Ort, so erfuhr ich, aßen in diesen VoKüs, also VolksKüchen, und kümmerten sich so ein, zwei mal in der Woche ums Kochen. Manche, die gerne kochen, auch öfter - andere hingegen sah mensch wohl selten in der Küche, dafür kümmerten sie sich eifrig um die große Fahrradwerkstatt oder die Bibliothek. "Wo denn die Nahrungsmittel herkämen, wenn dafür gar kein Geld eingenommen wird" fragte ich verwirrt und ließ mich belehren, dass die natürlich zum großen Teil von BewohnerInnen hier direkt angebaut würden, und so anderes wie Kaffee beispielsweise, brächten Reisende oft mit - dafür fuhren die dann oft schwer bepackt mit Fahrradteilen weiter, welche in der großen Fahrradwerkstatt gefertigt wurden.
"Ja und wer entscheidet denn nun, ob ihr hier Fahrräder baut oder Wasserkocher?" fragte ich weiter... ratlos blickten sich meine BegleiterInnen an. "Komische Frage, es gab hier einfach eine handvoll Leute, die gerne Fahrräder machen wollten. Die haben angefangen die Werkstatt aufzubauen - andere fanden das spannend und kamen dazu. Aber wenn du lieber Wasserkocher machen willst, dann mach doch! Die Franz da hinten unter dem Kastanienbaum, die träumt davon auch schon seit einer Weile, vielleicht könnt ihr das zusammen machen... einfaches Werkzeug gibts ja erstmal in der Fahrradwerkstatt, und dann müsst ihr halt gucken, was ihr noch so braucht. Am Tanzplatz gibt's doch die große Wand, wo draufsteht wer was denn gern mal irgendwann machen würd', und du kannst auch in das blaue Bürohaus gehen und dort im Wiki mal die Orte in der Umgebung bitten, deinen Wunsch auch auf ihre Interessenpools zu setzen..."
Jaja, so war das ja nun auch nicht gemeint, ich bin ja nur auf der Durchreise. Aber müde wurde ich nun doch. Die drei erklärten mir noch, wie ich die Häuser erkenne, in denen es "freie Schlafecken" gibt - wo also jede einen freien Platz zum Schlafen finden kann. Erstaunt ließ ich mir von Zorin berichten, dass sie immer wieder an verschiedenen Orten schläft, je nachdem nach welcher Atmosphäre oder Gesellschaft er sich gerade fühlt... so suchte ich mir eine kuschelige Ecke in einem grün angestrichenen kleinen Strohhaus und schlief erschöpft ein.
Piiiiiiiiip Piiiiiiiiiiip Piiiiiiiiip schrecke ich aus dem Schlaf. Ich reibe mir verschlafen die Augen - kein Strohhaus, nur meine Mietwohnung im Hinterhof. Grummlig mach ich den Wecker aus. Stimmt ja, ich muss zur Uni, warum muss denn der Prof bei seiner langweiligen Vorlesung auch noch Anwesenheitspflicht haben? Tapsig stehe ich auf, ziehe mich an, schiebe die unbezahlten Rechnungen auf dem Tisch zusammen und schlurfe einen viel zu süßen Kaffee... träume dabei schon wieder weg. Es schwirren mir so viele Fragen im Kopf herum. Wo war denn bloß dieser freundliche Ort, wie komm ich denn da bloß hin? Und wie war das doch, hatten die mir was erzählt über unbezahlte Rechnungen und Ladendiebstahl? Oder gehörte da etwa gar nichts niemandem? Wie die das wohl machen, mit der Arbeit, ja und wie wird in jenem bunten Ort wohl mit Konflikten umgegangen? Wie kriegen die das denn hin, komplexere Vorgänge zu organisieren, oder ist es eh besser, ganz ursprünglich und einfach zu leben? Ob's da auch Eliten gibt, und wie gehen die wohl damit um? Was machen die mit Menschen, denen diese Gesellschaftsform nicht passt, und gibts denn wirklich gar keine gemeinsamen Entscheidungen oder Vorschriften oder was?
Da klingelt die Tür, eine Nachbarin bringt mir einen Korb voll Tomaten, die er auf dem Balkon geerntet hat. Ich erzähle ihr von meinem Traum. Dabei entstehen noch viele, viele weitere Fragen - und der Wunsch, nicht nur zu träumen. Den Weg zu unserer Utopie jetzt einschlagen, direkt an unserer Utopie basteln und schonmal anfangen, zu leben. Und noch mehr Fragen tun sich auf, viele auch widersprüchliche Ideen tanzen herum. Diese Ideen wollen wir weiterspinnen, vertiefen, hinterfragen - als Grundlage, um an unserer Utopie zu basteln. Wir laden euch ein, mit uns beim Utopien-Seminar utopische Gedanken auszutauschen und konkrete Knackpunkte und Fragestellungen bei der Umsetzung von Utopien zu beleuchten.
Utopisch leben:
Herrschaftsfreie Welt
Grundlagen- und Perspektiven-Entwicklungstreffen
13.-16. September 2007 in Magdeburg
http://herrschaftsfreie-welt.de.vu
Ansatz
Im September soll in Magdeburg ein Utopien-Treffen stattfinden. Es wird einen kleinen Anteil an Grundlagen-Vermittlung beinhalten, dann aber auch schon voll in das Thema einsteigen. Kritische Fragen an unsere Vorstellungen einer anderen Welt werden gestellt und diskutiert. Denn der Utopieprozess lebt nicht nur vom Träumen, sondern auch von Hinterfragen und Kreativität bei der Entwicklung von Lösungsansätzen für erkannte Probleme.
Einen Programmvorschlag findest du schon jetzt im Wiki unter http://herrschaftsfreie-welt.de.vu. Wir wollen methodisch vielfältig an das Thema herangehen und die Theorie über "kreative Gruppenprozesse" zur Anwendung bringen. In Kleingruppen werden dann die "entscheidenden" Fragen gestellt und auch Ansätze aus dem Hier&Jetzt hin zur Realisierung unserer Utopien entwickelt.
Im Idealfall wird diese Veranstaltung zu einer Schärfung deines Blicks für kritische Fragen bei der Utopieentwicklung beitragen und Menschen zusammenbringen, die jetzt mit der Umsetzung ihrer Ideen für eine herrschaftsfreie Welt beginnen wollen.
Der Organisierungsprozess zu diesem Treffen ist offen für alle, soll aber nicht "beliebig" sein. Wir wollen klare Absprachen treffen und darauf "bauen" können, dass sie umgesetzt werden. Im Wiki findest du einen Programmentwurf, der aber nicht unveränderlich sein soll.
Die Vorbereitung läuft schon jetzt! Dazu gibt es nicht nur die Wiki-Internetseite, sondern auch mehrere thematische Vorbereitungstreffen, zu denen sich konkrete Leute verabreden. Unterstützung ist bei allem willkommen.
Auch vor Ort in Magdeburg soll die Vorbereitung gemeinsam mit den Leuten geschehen, die auch am Treffen teilnehmen wollen. Sicherlich können sich dazu nicht alle TeilnehmerInnen Zeit nehmen und das ist auch gar nicht notwendig. Aber wir wünschen uns, dass zumindest einige Leute schon in den Tagen ab dem 10. September in Magdeburg sind, um das Seminar vorzubereiten.
Knifflige Fragestellungen
Folgende Fragen könnten bei Workshops des Seminars behandelt werden:
- Besitz, Eigentum, Nutzungseinschränkungen - gibt es sowas in einer herrschaftsfreien Welt und wie wird mit entsprechenden Bedürfnissen oder Konflikten, die wir im Hier & Jetzt kennen, umgegangen?
- Arbeit - müssen alle einen bestimmten Beitrag zur Gesellschaft leisten? Wie würde das aussehen und durchgesetzt werden? Was geschieht mit denen, die nicht "freiwillig" arbeiten? Steht "Arbeit" (als unterschwellige oder klar formulierte Pflicht) im Widerspruch zur Idee einer herrschaftsfreien Gesellschaft?
- Umgang mit den "Anderen" - was passiert, wenn Leute andere Vorstellungen haben, die inkompatibel mit der Idee von Herrschaftsfreiheit sind? Kann es Ausschlüsse aus einer emanzipatorischen Gesellschaft geben? Wie sollen die aussehen? Ist "Ausschluss" in einer global gedachten Utopie nicht gleichbedeutend mit Unterdrückung? Wie kann emanzipatorisch mit solchen - sicherlich auftretenden - Fällen umgegangen werden?
- Wirtschaften - welche Logik hat die Organisierungs- und Lebensweise? Effizienzdenken kann leicht zur Selbstausbeutung und Errichtung scheinbar freiwilligen Arbeitszwangs führen... Wie kann der Austausch von Ressourcen geschehen - Tauschprinzip, alles für alle, etc.? Wo bestehen Widersprüche zur Idee herrschaftsfreien Lebens? Welche Konflikte sind zu lösen? Hier kommen auch Themen zusammen, wie "Arbeit?" und "komplexe Vorgänge?" ... Fragen tun sich auf wie "Zugang/Verteilung zu/von Ressourcen?", "Umgang bei begrenzten/knappen Ressourcen?", "Austausch von Ressourcen? (ja, wie kommt denn nun der Kaffee nach Norwegen - kommt er überhaupt?)" u.v.a.
- Konfliktfälle - gibt es dafür Strafe und Repressionsmechanismen? Welche Durchsetzungsmöglichkeiten bestehen bzw. wie kann herrschaftsfrei (-minimierend) mit Konflikten umgegangen werden?
- Wie können in utopischen Gesellschaften komplexe Vorgänge möglich sein? Horizontale Organisierung auf hohem Niveau schaffen, so dass Hierarchien und herrschaftsförmige Strukturen/Mechanismen reflektiert und angegangen werden und trotzdem so komplexe Vorgänge wie die Produktion von Hightech-Geräten möglich wird. Wie kann sowas praktisch aussehen?
- Umgang mit Elitenbildung - umso komplexer die Organisierung, umso mehr Arbeitsteilung wird notwendig sein - damit wird es ExpertInnen für einzelne Bereiche geben. Wie kann damit herrschaftskritisch umgegangen werden? Ist dies ein Widerspruch zur Idee von Herrschaftsfreiheit, folgt daraus womöglich, dass Komplexität herrschaftsfrei nicht realisierbar ist?
- Entscheidungen - wie wird entschieden? Warum überhaupt? Gibt es Dinge, für die es gemeinsame Entscheidungsstrukturen geben muss? Wie könnte mit aus dem Hier & Jetzt bekannten Problemlagen umgegangen werden, ohne dass es solcher Strukturen bedarf?
- Wie komme ich von hier zur Utopie? - Handlungsansätze... Fragend voran!
- "Außen"wirkung - Warum könnte es wichtig und notwendig sein, sich in der utopischen Welt (oder schon bei den kleinen Ansätzen im Hier & Jetzt) nicht nur auf sich selbst zu beziehen, sondern nach Außen zu wirken, die umgebende Gesellschaft zu beeinflussen? Wie kann dies aussehen?
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