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== Definition / Sophus Rassmusen ==
 
== Definition / Sophus Rassmusen ==

Latest revision as of 22:14, 20 March 2007

Diese Seite wurde eingerichtet, damit die Anmerkungen einer anonymen NutzerIn, die aber strukturell nicht in die Sammlung der Kurzzitate zum Anarchismus für Utopien-Seminare passten, nicht verloren gehen. Auf der Seite sind nur noch kurze Auszüge verblieben, die ausführlichen Texte stehen jetzt hier. Die Seite kann auch von anderen, die längere Ausführungen als Ergänzung zu der Zitate-Seite machen wollen, genutzt werden. Dort bitte aber weiterhin nur kurze & für die Herrschaftsanalyse der jeweiligen Utopien aussagekräftige Zitate reintippen und dann einen Link hierher.

Definition / Sophus Rassmusen[edit]

Wenn darüber gesprochen wird, was das Programm des Anarchismus sei, so müssen wir mit zwei Worten antworten: Keine Herrschaft. Großartig ist das nicht und wir wollen einräumen, das damit nicht viel eines Stück Papieres zu füllen ist; aber trotzdem ist es das beste Programm, mit dem bis dato Menschen hervorgetreten sind. Natürlich befriedigt es jene Menschen nicht, die – gewohnt, von allen Parteien ellenlange Programme zu erhalten – erwarten, einen vollständigen Gesellschaftsentwurf fix und fertig bis in die geringsten Einzelheiten zu bekommen. Jene begreifen nicht, das dies eine genügt: Anarchie, sondern sie fordern, daß wir für sie beschreiben sollen, wie es denn werden könne, wie die Produktion und Konsumation zu organisieren sei, wie die Schullaufbahn und Kinderaufzucht aussehen könne, wie sich Männer und Frauen gegenüber einander verhalten sollen und weiteres. Und wenn wir dann sagen, das wir es nicht wissen, daß das die Zukunft erweise, sind sie verärgert und behaupten, daß wir also nur niederreissen und kritisieren. Wir sind für sie verfluchte Schädlinge, welche alles angreifen, ohne einen Grund zu nennen, Leute, die gerne etwas zerstören, aber niemals etwas aufbauen wollen.

Dieser Eindruck ist jedoch grundfalsch. All jenes, was wir einreissen, ist das, was wir aufbauen. Wir reißen Unfreiheit ein und bauen Freiheit auf. Wir sagen uns selbst, dort, wo Herrschaft aufhört, beginnt die Freiheit. Aber wir bauen keine Luftschlösser, um das Volk zu verführen, daran zu glauben, wir lieben keine Utopien, die die Zukunft festschreiben. Wir sehen die Gesellschaft als ein Wesen an, welches durch tausende Ketten, Gesetze, Autorität und Verbote und so weiter geknebelt ist, und wir versuchen dieses Wesen zu befreien durch Überwindung der Ketten, nicht jedoch, um neue vergoldete Ketten, die dieses Wesen erneut binden, an deren Stelle zu setzen, nachdem die anderen überwunden sind.

  • Sophus Rassmusen in "Skorpionen", dänische anarchistische Flugschrift Kopenhagen 1907 (Ãœbersetzt von FdA Steinburg)


Definition / Rudi Weizel[edit]

Nun ist das Bemerkenswerte am Anarchismus im Unterschied zu anderen -ismen, daß er eine sehr kraftvolle Aufforderung an uns beinhaltet, wir selbst zu sein und selbständig zu denken – nicht Autoritäten und fixen Ideen unterworfen zu sein. Daher kann man gut sagen, daß der Anarchismus eine Aufforderung an uns beinhaltet, keine Anarchisten zu sein. Packt man sich selbst in diese Kiste, so wird unweigerlich eine Situation entstehen, wo man fragt: Was meine ich als Anarchist zu diesem und jenem? Man hat seine Selbständigkeit aufgegeben. Man frage stattdessen: Was meine ich darüber!

Anarchie bedeutet Frei-sein von Autorität. Und ein Anarchist ist eine Person, die der Meinung ist, daß Autorität die Wurzel allen Übels ist – so verstanden, daß es der Autorität geschuldet ist, wenn Menschen asozial sind. Menschen sind von Natur aus – im Grunde – ganz sozial, werden sie jedoch der Autorität ausgesetzt, so werden sie Assoziale. Dieser Gesichtspunkt ist sowohl einzigartig als auch exstrem. Aber wer sagt denn, daß die Wahrheit akademisch und mittelmäßig sein muß? Ich betrachte es jetzt nicht als Wahrheit, daß die Wurzel allen Übels Autorität sei. Aber ich betrachte es als gute und fundierte Hypothese.

Weshalb macht Autorität aus Menschen Assoziale? Weshalb ist es gegen die Natur des Menschen, Autorität ausgesetzt zu sein?

Zunächst müssen wir Autorität definiert haben. Eine Autorität ist eine Person oder Institution, welche die Beschlüsse anderer Menschen trifft. Anstatt daß die Menschen selbst ihre eigenen Beschlüsse und in der Gemeinschaft gemeinsame Beschlüsse fassen, klaut die Autorität Beschlüsse und deckt diesen Diebstahl falls nötig mit Gewalt. Die schlimmste Autorität ist natürlicherweise der Staat, der mit seinem Gewaltmonopol andere Autoritäten ermöglicht.

Wir können nun fragen: Weshalb ist es gegen die menschliche Natur nicht selbst seine Beschlüsse fassen zu können? Einfach weil der Mensch ein fundamentales Bedürfnis dafür besitzt, selbst seine Beschlüsse zu treffen, einen fundamentalen Bedarf besitzt nach Autonomie.

Es ist das, was unsere Würdigkeit als Menschen ausmacht, selbst unsere Beschlüsse treffen zu können. Tiere werden von Instinkten geleitet. Wir haben in uns die Kraft zur Vernunftfähigkeit um uns selbst zu steuern. Den Menschen ihre Beschlüsse zu stehlen entspricht ihnen ihre Würde zu stehlen. Selbst dann, wenn die Autorität einen guten Beschluß faßt, möglicherweise noch einen besseren als den der sonst gefällt worden wäre, so hat sie ihre Untertanen herabgewürdigt. Autorität macht Menschen zu Unmenschen, zum asozialen Tier.

  • Rudi Weizel in "Anarchie, der Mensch und die Utopie" in "Festschrift für Carl Heinrich Petersen" Kopenhagen 1985 (Ãœbersetzung FdA Steinburg)


Kollektiv und Individuum / Rudi Weizel[edit]

Vom Prinzip, daß Autorität die Wurzel allen Übels wäre, nähern wir uns jetzt dem Kern des Anarchismus: Ein exstremer, unbedingter Individualismus. Kleiner kann man das nicht fassen. ”Ja aber, eine exstremer, unbedingter Individualismus – daß ist doch das gleiche wie brutaler Egoismus” leuchtet es auf der Anzeigetafel. Max Stirner, der vielleicht genialste Anarchist überhaupt, bezeichnete sich selbst als Ego-ist. Es geht hier um ein Mißverständnis – in jedem Fall wenn es sich um meinen Anarchismus handelt. Dieser geht nähmlich von der Annahme darüber aus, daß der Menschen gut genug ist, daß recht besehen der Mensch ein besonders soziales Tier ist. Egoismus und asoziales Verhalten erklärt er so als Auswirkung von Autorität.

Die meisten meinen, daß Menschen, um in der Gesellschaft zu leben, wesentliche Seiten ihrer selbst an die Leine legen müssen. Menschen können also nur als Abstraktionen in der Gesellschaft leben, die sich selbst beschatten. Dies war es, was Freud die Bürde der Kultur nannte. Ich meine, erst wenn jeder von uns ganz und gar er selbst ist, wird soziale Harmonie entstehen, wird die Utopie verwirklicht.

Für die meisten Anarchisten ein fantastischer Gedanke. Aber ist es den wirklich so schwierig zu verstehen, daß ein freier, unfrustrierter Mensch, der nicht an Minderwertigkeitskomplexen leidet, nicht fixen Ideen unterworfen ist, aber sich als vielseitig entfaltet, ist es so schwierig zu verstehen, daß solch ein Mensch sich nicht egoistisch geben will, kein Verlangen hat andere Menschen zu unterdrücken, aber dem entgegengesetz ein fundamentales Verlangen danach hat, daß andere ebenso frei sind wie er selbst? Es macht nicht viel her ein freier Individualist zu sein, wenn man nicht von gleich freien Individualisten umgeben ist – mit welchen man auf gleicher Ebene kommunizieren und Anerkennung erhalten kann. Je freier die anderen, je freier bin ich auch.

  • Rudi Weizel "Anarchie, der Mensch und die Utopie" in "Festschrift für Carl Heinrich Petersen" Kopenhagen 1985 (Ãœbersetzung FdA Steinburg)


Diskurs und höhere Moral / N. Steinhagen[edit]

Zeitgemäßer Anarchismus kann die Erkenntnis der Psychoanalyse nicht länger ignorieren. Nach diesen ist die herrschende Moral, Autoritätshörigkeit, Herrschaft und Staatlichkeit Produkt einer autoritären Erziehung, die Kinder und Erwachsene dazu verführt, sich destruktiv gegen die eigene Lebendigkeit und Autonomie, voll und ganz im Einklang mit den eigenen Bedürfnissen und Wünschen zu sein, zu wenden im Namen der zahllosen Autoritäten und ihrer nicht in der eigenen Lebendigkeit verankerten Ordnungsvorstellungen - angefangen bei der autoritären Pädagogik selbst über jegliche Moral bis hin zur Politik. Max Stirner muß 1844 zumindest etwas von diesem Zusammenhang erahnt haben, als er sich öffentlich gegen eine autoritäre Erziehung aussprach - ebenso wie der christliche Anarchist L. Tolstoy.

Erste Forderung des Anarchismus hat deshalb eine nicht-autoritäre Erziehung zu sein, die Kindern ermöglicht, frei in Verbindung mit ihrem Eigenen aufzuwachsen, ihrer Lebendigkeit und Autonomie der Übereinstimmung mit allen Gefühlen, Bedürfnissen und Wünschen. Ohne eine solche Erziehung ist der Anarchismus zum Scheitern verurteilt, da die anarchistische Moral im Unterschied zur herrschenden, repressiven Moral notwendigerweise nur in der Lebendigkeit jedes einzelnen Menschen wurzeln kann, ohne Autoritätshörigkeit die Forderungen anderer Menschen nach einem bestimmten Verhalten zu beurteilen.

Die Anarchie beginnt für alle anderen Menschen in der inneren Auseinandersetzung mit den Verwerfungen einer autoritären Erziehung, durch die sie von der bestehenden autoritären Gesellschaft geprägt wurden, in der Auseinandersetzung mit der eigenen Autoritätshörigkeit und der mangelnden Verankerung der Persönlichkeit in der eigenen Lebendigkeit. Diese Verwerfungen verführen dazu, die herrschende Moral durch eine ebenso repressiven alternativen Moral zu ersetzen, zu Ideologien und Prinzipien Zuflucht zu nehmen, die einem das eigene Denken abnehmen, solange man das Ringen um die eigene Lebendigkeit nicht aufnimmt und an der eigenen verschütteten Autonomie anzuknüpfen versucht.

Zwangsläufig entstehen so informelle Hierarchien und neue Strukturen von Herrschaft in anarchistischen Strukturen und Organisationen, solange man sich nicht mit dem eigenen Aufwachsen als Zögling autoritärer Erzieher auseinandersetzt und sich bewußt wird, in diesem Prozeß verinnerlicht zu haben, daß menschliche Beziehungen nur nach dem Machtmodell möglich sind, mehr noch, daß dieses Machtmodell einzige Grundlage der eigenen Persönlichkeit ist. Diese durch Wettbewerb und Macht geprägte, nicht in der eigenen Lebendigkeit verankerte Persönlichkeit läßt uns Bedürfnisse spüren, die in Wahrheit gar nicht unsere Eigenen sind - und wir müssen im Sinne dieser Persönlichkeit erst ver-rückt werden, um lebendig, wir selbst sein und an den Prozeß der Entwicklung eigener Autonomie anknüpfen zu können. Erst danach ist uns eine anarchistische Moral möglich.

  • N. Steinhagen in "Anarchismus und Psychoanalyse" (unveröffentlichtes Manuskript) Poyenberg 2005. Der Autor ist Gründungsmitglied des FdA Steinburg.


Kategorie:Anarchismus