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Difference between revisions of "APO-Calypse:Offene Räume Probleme"

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Freiraum in Husum war der Versuch, mitten in der Husumer Innenstadt einen Offenen Raum zu instalieren, in dem verschiedene Projkte verwirklicht wurden: Vokü, Polit/Aktions-Bibliothek, Direct-Action-Plattform, eine Stadtweite SchülerInnenzeitung (http://www.husuma.de.vu). Allgemein lässt sich sagen, dass das Projekt schon gut angenommen wurde, und z.B. der Umsonstladen gut lief. Allerdings war die Reproduktionsarbeit nur auf wenige Personen verteilt, und trotz anderslautenden Absprachen schaffte ein Grossteil der Husumer Linken es gerade mal aufs Sofa zum Bionade schlürfen. Nur selten wurde etwas anderes als Abhängen veranstaltet.
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Diese Situation spitzte sich zu, als eine der zentralen Eliten seinen Abschitt aus dem Projekt nahm, weil sie nicht mehr ihre Kraft in dieses Projekt investieren wollte, und daraufhin das Projekt zusammen brach.
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Den den Freiraum betreibenden politischen Zusamenhang gibt es so heute nicht mehr, da er 2005/06 Ziel von Repression wurde, und diese erfolgreich verlief.
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Wer mehr wissen möchte: auf http://www.husuma.de.vu unter Ausgaben in die November 2005-Ausgabe schauen...
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Revision as of 18:35, 7 July 2007

Wie die meisten Dinge im Alltag haben auch Offene Räume mit Problemen zu kämpfen und es treten immer wieder Konflikte auf, die manchmal auch das ganze Projekt in Frage stellen. Allerdings ist der Anspruch, zu einer emanzipatorischen Lösung zu finden in Offenen Räumen höher, da sie bestenfalls visionäre Orte sind, an denen versucht wird, die Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft zumindest im Rahmen des möglichen zu erreichen.

Aber Offene Räume sind auch Plätze, die deutliche Konfliktlinien aufmachen und die nur funktionieren, wenn ein hohes Maß an Transparenz und Kommunikation geschaffen wird. Offene Räume bilden außerdem einen deutlichen Widerspruch zu häufig konditionierten Verhaltensmustern wie Konkurrenzdenken, Machtorientierung oder Ellenbogenmentalität. Allerdings werden hier zwangsläufig Menschen mit solcherart sozialisierten Umgangsweisen auf einen Raum treffen, in dem ihnen erstmal keine Vorschriften gemacht werden. Bei manchen Leuten tritt dann ein "Fuchs-im-Hühnerstall-Effekt" auf: ohne das eigene Handeln und den letztendlichen Sinn zu reflektieren wird sich ausgetobt, abgeräumt bzw. gezogen, was nur geht. Auch sind die meisten Menschen nicht geübt im Problemlösen auf gleichberechtigter Basis. Sehr schnell wird auf formale Rechte geklopft oder getrickst, um die eigenen Ziele zu erreichen. Den emanzipatorischen Prozess im Auge zu haben und das eigene Verhalten sowie die Gesamtsituation zu reflektieren, muss trainiert werden.

Da es keine formalen Vorrechte gibt und die Entscheidung über die Nutzung des Raumes horizontal gefunden wird, müssen Bedürfnisse und Umgangsweisen miteinander ausgehandelt und vereinbart werden. Da es auch kein formales Recht gibt, auf das mensch sich beziehen kann, erfolgen diese Absprachen sinnvollerweise als Freie Vereinbarungen. Offene Räume gehören damit zu den seltenen Orten, an denen mit herrschaftsfreier Gesellschaftsgestaltung im Hier und Jetzt experimentiert werden kann. Sie können durch offensives Vermitteln der Ideen und Vertreten von Herrschaftsfreiheit aber auch zum Erreichen herrschaftsfreier Utopien beitragen.

Wozu diese Seite dienen kann

Eigentlich haben alle Offenen Räume mit mehr oder wenig großen Schwierigkeiten zu ringen. Häufig wiederholen sich an verschiedenen Orten ähnliche Konflikte. Diese wollen wir hier sammeln und - wo es diese gab - die Lösungsansätze zusammentragen bzw. überlegen, welche emanzipatorischen Lösungen denkbar wären. Davon werden hoffentlich weitere Projekte profitieren, die entweder von vornherein bestimmte Probleme auflösen oder dann zumindest einfacher klären können.

Wir werden hier auch ähnliche Probleme sammeln, die denen Offener Räume ähneln, um emanzipatorische Lösungen zu debattieren. Ihr seid aufgerufen, eure Erfahrungen einzubringen und zum kreativen, herrschaftskritischen Problemlösen beizutragen!

Beispielfälle

In dieser Rubrik sollen Beispiele für Konflikte in Offenen Räumen oder in ähnlichen Projekten gesammelt, eine Beschreibung des Problems, der Lösungsansätze und eine Analyse mit herrschaftskritischem Blickwinkel erfolgen.

FreiRaum in Husum

Freiraum in Husum war der Versuch, mitten in der Husumer Innenstadt einen Offenen Raum zu instalieren, in dem verschiedene Projkte verwirklicht wurden: Vokü, Polit/Aktions-Bibliothek, Direct-Action-Plattform, eine Stadtweite SchülerInnenzeitung (http://www.husuma.de.vu). Allgemein lässt sich sagen, dass das Projekt schon gut angenommen wurde, und z.B. der Umsonstladen gut lief. Allerdings war die Reproduktionsarbeit nur auf wenige Personen verteilt, und trotz anderslautenden Absprachen schaffte ein Grossteil der Husumer Linken es gerade mal aufs Sofa zum Bionade schlürfen. Nur selten wurde etwas anderes als Abhängen veranstaltet.

Diese Situation spitzte sich zu, als eine der zentralen Eliten seinen Abschitt aus dem Projekt nahm, weil sie nicht mehr ihre Kraft in dieses Projekt investieren wollte, und daraufhin das Projekt zusammen brach.

Den den Freiraum betreibenden politischen Zusamenhang gibt es so heute nicht mehr, da er 2005/06 Ziel von Repression wurde, und diese erfolgreich verlief.

Wer mehr wissen möchte: auf http://www.husuma.de.vu unter Ausgaben in die November 2005-Ausgabe schauen...

beGRENZt in Giessen

Umsonstladen in Giessen

Löwenzahn-Wohnung in Magdeburg

Projektwerkstatt in Saasen

Aggressiver Umgang, geringe Konfliktfähigkeit

Tatort: Kassiopeia, Darmstadt

Der Wagenplatz Kassiopeia ist formal eher das Gegenteil eines Offenen Raumes. Zeitweise gab es mehrere gleichberechtigte MieterInnen des Platzes, der sich in einer Kleingartensiedlung befindet. Vor mehreren Jahren zogen die meisten der MieterInnen weg und die neu hinzugekommenen waren scheinbar nicht daran interessiert, formale Verpflichtungen und Anstrengungen einzugehen, indem sie sich als HauptmieterInnen beteiligen. Momentan gibt es einen Hauptmieter, die vier anderen WagenplatzbewohnerInnen führen mit diesem Untermietverträge. Damit sind formal keine gleichberechtigten Verhältnisse gegeben.

Allerdings gibt es dort Menschen, denen es wichtig ist, eine emanzipatorische Lösung zu finden und die auf verschiedenen Stufen von Auseinandersetzung versuchen vorhandene Konflikte zu klären.

Der Konflikt

Seit mehr als einem Jahr gibt es einen Konflikt mit eineR der dortigen BewohnerInnen. Dieser ist gekennzeichnet von Umgangsformen, die einige PlatzbewohnerInnen nicht akzeptieren können. Dazu gehören regelmäßig wiederkehrende Beschimpfungen und Bedrohungen durch diese eine Person. Mehrfach wiederholten sich solche Vorgänge und führten bereits dazu, dass zwei WagenplatzbewohnerInnen psychisch regelrecht fertig waren und allein die Angst vor Wiederholungen schlaflose Nächte und verschiedene teils psychosomatische Effekte verursachte. Die anderen beiden PlatzbewohnerInnen interessierten sich für den Konflikt nicht, obwohl sie manchmal auch unter den Zornausbrüchen der einen Person zu leiden hatten.

Mehrfach wurde nach solchen aggressiven Ausfällen versucht, zu klären, dass diese nicht akzeptabel sind und es schien immer wieder, dass die betreffende Person dies auch so sieht. Die wiederkehrenden Vorfälle führten aber dazu, dass die zwei wesentlich betroffenen Personen kein Vertrauen in Zusagen und das zukünftige Verhalten der problematischen Person mehr aufbauen konnten. Mehrfach versuchten sie, auch die anderen BewohnerInnen für das Grundproblem zu sensibilieren, scheiterte aber. Vielmehr wurde der Konflikt individualisiert und das Leiden von zwei Menschen unter diesen Zuständen ausgeblendet. Sinngemäß sollten diese sich nicht so haben, müssten sich damit abfinden, dass es solche Ausraster gibt.

Umgang mit der Problematik

Nachdem sich die Zusagen, sich nicht mehr aggressiv gegen PlatzbewohnerInnen zu verhalten, als nicht glaubhaft herausgestellt hatten und auch die anderen Gemeinschaftsmitglieder sich in Ignoranz geübt hatten, versuchten die beiden Betroffenen, z.B. über Zettel, die sie für ihre MitbewohnerInnen sichtbar aufhängten, zu verdeutlichen, dass die Situation nicht akzeptabel ist. Es wurde versucht, alle BewohnerInnen zu motivieren, sich gemeinsam über die Zukunft des Platzes und den Umgang miteinander auseinanderzusetzen, woran allerdings kein Interesse bestand (zu aufwendig).

Später folgte ein Offener Brief, der an andere Szenemenschen verteilt wurde, um über das Problem zu informieren und um Unterstützung und Vorschläge zur Problemlösung zu bitten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Atmosphäre soweit verschärft, dass ein weiteres Zusammenleben nicht mehr möglich schien und deswegen die Trennung voneinander eingefordert wurde. Da die kritsierte Person inzwischen ein eigenes Grundstück hatte und der Aufwand für ihn den Platz zu wechseln geringer wäre, wurde angesprochen, dass er gehen sollte.

Das Transparentmachen des Konfliktes, insbesondere in Form eines offenen Briefes, wurden in der Szene heftigst kritisiert. Die Vorwürfe: "private Konflikte werden rumgetratscht", "einseitige Darstellung" . Damit wird der Konflikt individualisiert; wie so oft entziehen sich andere Szene-Menschen so der Zuständigkeit für den sozialen Umgang untereinander. Auch ist es logisch, dass die Stellungnahme einer Konfliktpartei von deren Sichtweise gefärbt ist. Es gibt keine objektive Wahrheit, die jemand verkünden könnte. Die Abläufe und das Verhalten der betreffenden Personen werden individuell zum Teil höchst unterschiedlich wahrgenommen. Aber das eigentlich dramatische ist dass eingefordert wird, ein Problem nicht zu thematisieren. Der Versuch, Transparenz zu schaffen und damit ein besseres Verständnis für die Problematik zu ermöglichen, den Konflikt möglicherweise mit Unterstützung anderer Menschen zu lösen, wird offensichtlich als nicht zulässig betrachtet.

Auch die Forderung des Auszuges erntete nur Ignoranz und eine deutliche Positionierung, dass die psychische Unterdrucksetzung der zwei handelnden Personen irrelevant sei und sie sich entweder mit der Bedrohungsatmosphäre abfinden müssten oder selbst zu gehen hätten. Es entstand also die krasse Position, dass diejenigen, die ein nicht so "dickes Fell" haben und beängstigende Situationen nicht einfach wegstecken können, sich unterzuordnen haben. Die immer wieder eingeforderte gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Grundproblem erfolgte nicht.

Allerdings schlug nun jemand vor, eine Supervision durchzuführen, um die Platzprobleme zu klären. Dabei wurde allerdings auch rübergebracht, dass dies vor allem dazu diene, der angeblichen psychischen Macke der sich bedroht Fühlenden entgegenzukommen. Eine Supervisorin wurde vorgeschlagen, das Verfahren sollte in Form einer Mediation* erfolgen. Jedoch war die Supervisorin nicht bereit, zunächst Einzelgespräche mit allen Betroffenen zu führen, sondern bestand auf dem Gruppengespräch vom ersten Moment an. Die Erklärung der beiden Menschen, die eine Auseinandersetzung mit der Problematik gefordert hatten, sie könnten nicht einfach so offenherzig mit den anderen Menschen reden, sondern bräuchten das Vorgespräch, wurde als lächerlich und unüblich abgetan.

Auf die angekündigte Verlagerung des Wagens des bedrohlich wirkenden Menschen wurde inhaltlich garnicht reagiert (nur sinngemäß: ihr habt eine Macke!), die gewünschten Alternativvorschläge gab es von keiner Seite. Da die zwei das Zusammenleben nicht mehr erträglich fanden, wurde nun versucht, die Situation zu eskalieren, um eine Auseinandersetzung zu erzwingen. Die im Offenen Brief andiskutierte Kündigung wurde ausgesprochen. Dies führte nun zu plötzlichen Interventionen der anderen PlatzbewohnerInnen, die sich erst an gemeinsamen Lösungsversuchen nicht interessiert zeigten und nun, da die Betroffenen selbst handelnd wurden, dies nicht in Ordnung fanden.

Nun regten sich die MitbewohnerInnen doch, allerdings wieder in einseitiger Anteilnahme für die Person, von der die sich angegriffen fühlenden Menschen die Bedrohung wahrnahmen. Auch auf den anderen Wagenplätzen äußerten sich nun vereinzelte Leute und ergriffen Position für den Menschen, dessen Anwesenheit als unerträglich empfunden wurde. Vielleicht ein Wagenplatztypisches Phänomen: Konflikte werden privatisiert, die Intervention dagegen als inakzeptabel bezeichnet. Womöglich liegt dies an der Assoziation mit der allgegenwärtigen Räumungsgefahr und dem Glauben, es müssten alle irgendwie miteinander klarkommen.

Da sich in Sachen Konfliktlösung weiterhin nichts tat, wurde eine weitere Eskalation herbeigeführt: Nachdem der als problematisch empfundene Mensch seinen Wagen vom Platz fuhr, um diesen gegen einen Neuen zu ersetzen, wurde ein Tisch in die Einfahrt gestellt und die Einfahrt blockiert, um zu verhindern, dass der neue Wagen auf das Gelände käme. Nun endlich kam es nach mehr als einem halben Jahr zu einem konstruktiven Gespräch über die Problematik und über den weiteren Umgang damit.

Inzwischen wurde vereinbart, eine Mediation miteinander zu führen, dass dort auch über den Umgang miteinander gesprochen und geklärt wird, wie dieser aussehen soll. Dies soll in einer schriftlichen Vereinbarung festgehalten werden und formalrechtlich verbindlich sein.

Idee: Für den Fall, dass es über die Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen untereinander nicht klärbare Streitigkeiten gibt, wird eine selbstgewählte Gruppe von Menschen beauftragt, dann zu intervenieren. Erst wenn auch dieser Notmechanismus nicht funktionieren sollte, kommt eine formalrechtliche Durchsetzung in Frage. --Maria 18:23, 13. Jul 2006 (UTC)

Bewertung

Mit rechtsstaatlichen Mitteln ("Kündigung", Ankündigung juristischer Schritte, Erwägung eines Polizeieinsatzes) einen solchen Konflikt lösen zu wollen, erscheint zunächst überhaupt nicht vereinbar mit herrschaftskritischen Ansätzen. Das wurde von den SymphatisantInnen des Einen auch so herauskristallisiert. Nachvollziehbar wird dies dadurch, dass dies als letzte Option vor dem selbst aufgeben gesehen wurde und die Betroffenen sich zu schwach und zu wenig unterstützt fühlten, um sich anders schützen zu können.

Unter emanzipatorischem Blickwinkel ist hervorzuheben, dass es vielfältige Anläufe zur Problemlösung, auch mit unkonventionellen Mitteln gab. Diese sind allerdings immer wieder gescheitert. Erst die schrittweise Eskalation der Situation führte zu einer Auseinandersetzung mit den jahrelang vorhandenen und seit längerer Zeit akuten Problemen. Eine solche Eskalation kann emanzipatorisch Sinn machen, um eine gleichberechtigte Diskussion und eine Problemlösung anzuregen. Allerdings kann hier auch nicht wirklich von einer horizontalen Ebene gesprochen werden, da das Hausrecht drohend im Raum schwebt.

Kritisch ist auch, dass die handelnden Personen ab einem bestimmten Zeitpunkt keine direkten Diskussionen mit den Leuten führten, die sie als ignorant oder bedrohlich empfanden - allerdings hatten sie dazu nicht mehr die Kraft. Es wäre vorstellbar, dass die Auseinandersetzung und Entscheidung über die zukünftige Verfahrensweise schneller herbeizuführen gewesen wäre. Eine emanzipatorische Konfliktlösung erweist sich aber als schwierig, wenn Betroffene allein mit der Situation dastehen und das Problem von der "Gemeinschaft" und der "Szene" weitestgehend nicht ernst genommen wird.

Kassiopeia ist allerdings auch kein Offener Raum und den Anspruch daran gibt es hier nicht bzw. höchstens partiell. Notwendig wäre dazu der Wille, sich gleichberechtigt miteinander auseinanderzusetzen, das Verhalten und den Umgang miteinander zu reflektieren und Probleme frühzeitig zu kommunizieren. Gleichberechtigung bedeutet dabei auch, auf die Bedürfnisse und Problemwahrnehmung der beteiligten Menschen einzugehen und diese auch ernstzunehmen.

Notwendig sind also neben der Bereitschaft zur Auseinandersetzung miteinander viel Kommunikation und selbstkritisches Verhalten. Aber auch, die formale Ungleichberechtigung (Mietrecht) aufzuheben und horizontalere Verhandlungsebenen (z.B. über einen Autonomievertrag) zu schaffen.

Fuchs im Hühnerstall

Tatort: Offenes Büro, Magdeburg

Das "Offene Büro" ist ein Raum der Greenkids im sozial schwachen Magdeburger Stadtteil Buckau, in dem Menschen Infrastruktur, Bibliothek und Aktionsmaterial für Projekte bereitgestellt wurde. Das Büro liegt ebenerdig direkt an der Straße. Die häufigsten BesucherInnen waren Kids aus dem Stadtteil, die diesen Ort ähnlich einem normalen Jugendzentrum nutzten. Wenn es einigermaßen gut lief, haben sie sich Papier genommen und gemalt oder am PC gesessen und Briefe geschrieben bzw. Hausaufgaben erledigt. Inhaltliche Projekte kamen nicht zustande und auch eine Mitgestaltung des Offenen Raumes gab es nur mal partiell mit einzelnen Leuten, die häufig den Drucker nutzten und dafür Schmierpapier besorgt hatten.

Zu den Problemen im Offenen Büro gibt es den ausführlichen Text "Offenes Büro geschlossen", in dem auch die weitere Strategie und Konzeption beschrieben wird. An dieser Stelle soll es nur um den irgendwann einmal so bezeichneten "Fuchs-im-Hühnerstall"-Effekt gehen, der auch an diesem Ort auftrat.

Der Konflikt

Der Konflikt, von dem hier berichtet werden soll, steht in engem Zusammenhang mit dem Gegensatz zur Normalität, den ein Offener Raum bildet. Hier (also auch im Offenen Büro, um das es hier geht) macht niemand Vorschriften, sondern zunächst mal steht (im Offenen Büro: fast) alles zur Verfügung. Über die konkrete Nutzung und auch den Umgang miteinander treffen die NutzerInnen Vereinbarungen.

Auf einzelne Personen lässt sich das Problem nur schwer herunterbrechen, da nach Wahrnehmung der schlüsselgewaltigen Menschen (auch in diesem Punkt ist das Ideal 'Offener Raum' hier nicht erreicht worden) von fast allen Straßenkids* Aktivitäten ausgingen, die letztlich zur temporären Schließung des Offenen Büros führten.

Mit zwei kleinen Menschen gab es aus dem Thiembuktu bereits die Erfahrung, dass diese zum Teil sehr raffiniert und vor allem hemmungslos Projekte und Menschen, mit denen sie zu tun haben, beklauen. Immer wenn diese beiden oder auch einzelne von ihnen in das Büro kamen, wurde die Atmosphäre angespannt, da der Gedanke, was sie jetzt mitgehen lassen würden, im Kopf herumgeisterte und gleichzeitig der Vorsatz da war, nicht Kontrolle ausüben zu wollen. Das geschah dann auch: es wurde Zeux geklaut und wenn es jemand mitbekam, wurde in der Form interveniert, dass nachgehakt wurde, was sie damit vor haben und gesagt, dass andere es auch noch nutzen wollen.

Aber auch allgemeiner war zu beobachten, dass - egal was - alles, was gratis zu kriegen war, mitgenommen wurde. Ob die abzockenden Personen es gebrauchen konnten, war offensichtlich kein entscheidendes Kriterium. Jetzt regulierend eingreifen zu müssen, damit der Materialverschleiß und die Verschwendung von Ressourcen nicht so massiv abläuft, war wieder ätzend. Denn nun kamen sie abwechselnd und täglich, um jedes Mal etwas zu schnorren, von dem sie mitgekriegt hatten, dass es schon mal rausgegeben wurde.

Ärgerlich war das mehrfache Entwenden von großen Mengen Infomaterials, das im Büro für die politische Arbeit bereitgestellt wurde, um es dann breitflächig auf Buckaus Straßen zu verteilen und damit unbrauchbar zu machen. Dadurch wurde einmal die einzige Kiste mit CityCards*, die in einem Projekt im Offenen Büro hergestellt wurden, vernichtet - zusammen mit einem Karton Direct Action-Kalendern. Bei anderen Gelegenheiten wurden Flyer oder Postkarten in langer Spur durch den Stadtteil verstreut. In einem anderen Fall tauchten die Aufkleber, die auf Vorrat bereitgestellt wurden, an allen möglichen unmöglichen Stellen (an Privatbriefkästen, Schaufenstern etc.) in direkter Nähe des Büros auf.

Eine Steigerung erlebte die Problematik, als ein Grüppchen dieser Leute mit der Lüge, andere BüronutzerInnen hätten das mit ihnen abgesprochen, sich einen Schlüssel für den Raum organisierten und dort - in den Räumen! - Silvesterböller zündeten. Glücklicherweise scheint es keine großen Schäden gegeben zu haben und weggekommen ist offensichtlich auch nichts. Als dann einige Wochen später ein weiteres Grüppchen in anderer Konstellation nachfragte, ob sie Flyer verteilen könnten, und ihnen entsprechendes Material gegeben wurde, das sie dann sofort wieder auf der Straße verteilten, war es mit dem Vertrauen zuende.

Umgang mit der Problematik

Anfangs etwas zaghaft, später immer deutlicher wurden die Leute darauf angesprochen, dass hier niemand Bock darauf hat, aufpassen zu müssen, dass der Offene Raum nicht privatisiert* oder zerstört wird. Auch darüber, wie die Nutzung des Offenen Raumes aussehen könnte und welche Vorstellungen die anderen NutzerInnen haben, wurde versucht zu reden. Das war natürlich schwierig, weil wahrscheinlich noch niemand sich die Mühe gemacht hat, mit diesen Menschen ernsthaft und "auf gleicher Augenhöhe" zu sprechen und ihnen etwas zu erklären, anstatt unbegründete Verbote auszusprechen. Das könnte auch ein weiteres Problem sein, dass die eingeprägten Verhaltensmuster unreflektiert auf den Offenen Raum ausgedehnt werden: Alles durchziehen was möglich scheint, bis deutliche Grenzen (meist nur in Form von Gewalt als solche akzeptiert) aufgezeigt werden. Da es diese Verbote und gewaltförmigen Umgangsformen hier nicht in vergleichbarer Form gibt, wie sie sonst gewöhnt sind, "drehen" manche Leute durch und toben sich völlig sinnlos in einem Raum aus, den sie eigentlich viel besser nutzen könnten.

So brachten auch diese Gespräche nicht viel. Zwar waren - vor allem die beiden eingangs erwähnten Personen - recht schlau und haben in kürzester Zeit gecheckt, mit welchem Vokabular und Argumentationen sie besser ankommen, aber ein Vertrauensverhältnis konnte nicht entstehen. Absprachen und Realität hatten einfach nichts miteinander zu tun. Ein Büronutzi entschied dann, eine der Personen nicht mehr in den Raum zu lassen, weil sie keine Lust hat, dann immer angestrengt aufpassen zu müssen und irgendwelche Scheißaktionen erleben zu müssen.

An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass die Handlungen der einzelnen BüronutzerInnen bis zur Schließung des Raumes direkte Interventionen und nicht die Umsetzung irgendwelcher Beschlüsse waren. Zwar wurde über die Probleme kommuniziert und sich auch darüber ausgetauscht, welchen Umgang mensch damit nun führen wolle, aber die Entscheidung lag dann immer bei den handelnden Personen.

So konnte die eine Person eben nur noch in den Raum, wenn noch wer anders da war, für die es OK war, auf sie aufpassen zu müssen. Diese Situation war natürlich immer noch nervig, weil eigentlich niemand Lust hatte, Überwachungsorgan spielen zu müssen. Andererseits wollte aber auch niemand, dass der Raum geschrottet wird. Eine angenehme Lösung ohne den Raum zu schließen konnte aber erstmal nicht gefunden werden.

Nach beschissenen Aktionen - Materialvernichtung, Bölleraktion im Büro - wurden die Leute darauf angesprochen und ihnen klar gemacht, dass mensch darauf keinen Bock hat und es nicht akzeptabel findet. Es wurde ihnen auch erklärt, dass aufgrund dieses Verhaltens manchmal der Raum auch gar nicht für sie offen sei, wenn nämlich gerade alle auf ihnen wichtiger erscheinende Arbeiten konzentriert sind und sich nicht auf Leute, die nur abzocken oder zerstören wollen, einlassen wollen.

Das Verständnis schien für diese Positionierung auch da zu sein und es gab kurzzeitige Verbesserungen. Aber vermutlich genügt es noch nicht. Die prägende Normalität von Konkurrenzdruck und Ellenbogenmentalität wirkt einfach zu umfassend. Zwischen zwei Besuchen des Offenen Raumes liegen so viele Situationen, in denen solche Verhaltensweisen verinnerlicht und verstärkt werden, dass die kleinen Veränderungen in den Köpfen schnell wieder verdrängt werden. Trotzdem besteht hier die Chance, Ansätze, Denkanstöße für emanzipatorische Entwicklungen zu ermöglichen. Dazu wäre es wahrscheinlich notwendig die Auseinandersetzung noch viel mehr zu suchen und sich intensiv mit den BesucherInnen des Offenen Raumes auseinanderzusetzen.

Nach dem Zünden von Böllern im Büro und der kurz danach folgenden Materialvernichtungsaktion in Buckaus Straßen entschloss sich ein Nutzi, das Büro jetzt zu schließen. Es kommunizierte darüber mit anderen Nutzis und teilte auch den Kids mit, dass es dies für notwendig hält, um erstmal zu klären, wie weiter mit dieser Situation umgegangen werden soll. Die anderen Nutzis hielten diese Maßnahme auch für OK und notwendig.

In der Folgezeit gab es zwei Treffen, bei denen erstmal "intern" (unter den SchlüsselinhaberInnen) über die aufgetretenen Probleme gesprochen wurde und wie diese zu lösen seien. Auch darüber, unter welchen Bedingungen die Fortführung des Offenen Büros vorstellbar und akzeptabel wäre, wurde geredet. Es entstand in der Folgezeit ein Konzeptpapier für das zukünftige Offene Büro. Darin wurde vor allem festgestellt, dass mensch sich vor der Öffnung des Büros einfach zu wenig Gedanken über die Nutzung des Raumes gemacht hatte. Zukünftig müssten Kommunikation und Beteiligung an der Instandhaltung des Raumes viel stärker eingefordert und sich auch intensiver mit "Neuen" im Offenen Büro auseinandergesetzt werden.

Auch mit den Kids gab es mehrere Kurzgespräche, wenn diese in den Raum wollten und darauf aufmerksam gemacht wurden, dass das Offene Büro wegen der Vorfälle geschlossen wurde. Sie wurden zu einem Treffen eingeladen, um über die Probleme zu reden und zu überlegen, wie eine zukünftige Nutzung des Raumes möglich wäre. Zu diesem Treffen kam allerdings niemand von ihnen. Unklar ist, ob sie sich den Termin nicht merken konnten (allerdings wussten sie ihn noch bis kurz davor), oder ob ihnen das alles nicht mehr wichtig war.

Augenblicklich ist das Offene Büro weiterhin geschlossen. Es wird aber zeitweise immer wieder am Konzept und an konkreten Maßnahmen zur offensiven Bewerbung des "Offener Raum"-Charakters gearbeitet. Im Herbst, wenn die hier Aktiven vielleicht weniger Stress als momentan haben, könnte ein neuer Anlauf gewagt werden.

Bewertung

Zunächst war das Büro ziemlich konzeptlos geöffnet worden. Es gab keine Überlegungen über die möglichen Abläufe, wie die notwendige Kommunikation entstehen sollte, wie mit Problemen umgegangen werden könnte und wie die NutzerInnen sich in die Instandhaltung einbringen sollten. Das und das noch nicht ausreichende Einforderung von Auseinandersetzung mit der Idee eines Offenen Raumes und entstehenden Konflikten hat die Wirkung der beschriebenen Vorfälle wahrscheinlich verstärkt.

Grundsätzlich entspricht die Existenz des Hausrechts, das nach wie vor beim Trägerverein liegt, nicht der Idee formaler Gleichberechtigung in einem Offenen Raum. An diesem Ort wird dies allerdings aufgrund des vorliegenden Mietvertrages auch nicht möglich werden. Weiterhin ist nur ein Teil der Infrastruktur allgemein zur Verfügung gestellt worden. Auch das soll sich ändern - allerdings soll auch der Anspruch, der an die Nutzung des Büros gestellt wird, höher werden und mit einbeziehen, dass sich prinzipiell alle zuständig für den Erhalt und Ausbau des Offenen Raumes verstehen.

Mit der Schließung des Büros haben die SchlüsselinhaberInnen ihren Vorteil (Schlüssel) und Recht (Mietvertrag) genutzt. Dies wurde zum Schutz des Raumes und seiner Infrastruktur für notwendig erachtet und erschien auch als akzeptable Zwischenlösung, um die entstehende Ruhe für Überlegungen und Neukonzeptionen zu nutzen. Dazu wurden die Ausgeschlossenen Kids auch eingeladen, sie haben diese Möglichkeit jedoch nicht genutzt. Unter den gegebenen Umständen scheint dies eine emanzipatorische Lösung zu sein, da angestrebt wird, den Raum wieder zu öffnen. Dabei sollen die Erfordernisse für eine gleichberechtigte Nutzung - Kommunikation, Transparenz, Zuständigkeit aller - auch verstärkt erfüllt werden.

Die größte Herausforderung wird es werden, ausreichend viele Menschen zu motivieren, sich auch in die Instandhaltung und den Ausbau des Offenen Büros (Materialbeschaffung, Wartung, Reinigung, Finanzierung, Bewerbung) einzubringen. Außerdem ist es wichtig, offensiv den Offener Raum-Charakter zu verdeutlichen und direkte Interventionen gegen Missstände zu führen.

Erläuterungen

  • Mediation: Die Mediation ist eine Form der Supervision, die sich mit der Konfliktlösung befasst. Eine MediatorIn soll den Konfliktparteien helfen, wieder miteinander klarzukommen. Häufig, vor allem in politischen Auseinandersetzungen, dient die Mediation allerdings eher der Verschleierung von Konflikten, anstatt sich mit den eigentlichen Ursachen auseinanderzusetzen und deren Lösung anzustreben. Hier wird versucht, einen Kompromiss zwischen Parteien zu schließen, den es nicht geben kann. Auch in der privaten Konfliktlösung besteht die Gefahr, dass die Mediation auf ein Mit-dem-Problem-Leben hinwirkt, da sie einen hohen Stellenwert auf das Verstehen und sich-Hineinversetzen in die KonfliktpartnerIn setzt. In kriselnden Familien wird das Verfahren inzwischen häufiger eingesetzt, um es den Betroffenen zu erleichtern, unter eigentlich beschissenen Umständen weiterhin miteinander leben zu können.
  • Straßenkids: gemeint sind junge Menschen, die einen Großteil des Tages in den Straßen von Buckau unterwegs sind, zum Teil von ihren Eltern erst am Abend wieder zuhause erwünscht sind, die überall mal reinschauen und ihre Zeit irgendwie vertun
  • CityCard: Gratis-Postkarte, die von der Agentur Frische Ideen vertrieben wird und an Auslagestellen in einer Vielzahl öffentlicher Einrichtungen (z.B. Kneipen, Theater, Diskotheken) ausgelegt werden. Vergleichbar sind damit andere Gratis-Postkarten, wie die "Edgar-Cards".
  • privatisiert: Zunächst sind alle Materialien und Technik eines Offenen Raumes für jedE zugänglich und nutzbar. Wenn davon etwas geklaut wird, ändert sich der Status dieser Ding auf "nicht mehr für jedE zugänglich und nutzbar", privat.

Kategorie:Offene_Räume