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Aneignung des Begriffes Aneignung[edit]
Innerhalb herrschaftskritischer Gruppen mit emanzipatorischen Anspruch befindet sich der Praxisbegriff "Aneignung" in einer steilen Konjunktur. Auch die Gruppe Freiraum formiert sich maßgeblich um diese Praxisform, wie sich in den zwei Besetzungsversuchen im alten AKH gezeigt hat. Daher wird hier versucht den Begriff "Aneignung" zu definieren und einer theoretischen Analyse zu unterziehen.
Definition: Sich etwas zu eigen machen. Zentral scheinen hierbei die widersprüchlichen Interpretationsmöglichkeit des Begriffes. Einerseits kann dam unter „Aneignung“ den Entzug und/oder die Konzentration von Macht verstehen. Im folgenden Text wird diese Definition der Verständlichkeit halber als „Enteignung“ bezeichnet. Andererseits kann dam unter (wieder) „Aneignung“ auch, dass genaue Gegenteil verstehen: die Rückholung und/oder Zerstreuung von Macht. Was sowohl im folgenden Text als auch im oben beschriebenen politischen Kontext als „Aneignung“ bezeichnet wird. Kurz gesagt Enteignung wird hier rein negativ gefasst als die Schaffung von Herrschaft; Aneignung der positive Gegensatz als die Ermöglichung von Selbstbestimmung. Hier schwingt auch eine weitere Doppelbedeutung mit: Enteignung und Aneignung kann sich auf verinnerlichte (Selbstbeherrschung) oder auf direkte Herrschaft, diejenige von Menschen über Menschen beziehen.
Leider verstehen die meisten Gruppen Aneignung auf die politische und ökonomische Ebene der Eigentumsverhältnisse begrenzt. Die Reichweite ist jedoch wesentlich weiter zu fassen. Aneignung kann sich genau so auf eine sprachliche und kulturelle Ebene, wie Ästhetik, Fertigkeiten, Normen etc. beziehen. Wenn Frauen sich z.B. Haare am Körper wachsen lassen, ist das als „Aneignung“ des eigenen Körpers zu verstehen. Die folgende Analyse setzt sich nur mit Aneignung im Bezug auf Eigentumsverhältnisse auseinander, ohne dabei andere soziale Verhältnisse weniger wichtig zu nehmen.
All dies analytischen Trennungen verschwimmen in der Wirklichkeit selbstverständlich und dienen einem besseren Verständnis der vielfältigen Wechselwirkungen.
emanzipatorisches Potential von Aneignung Der folgenden Definition zu Folge können Herrschaftsstrukturen durch das historische Wechselspiel von Enteignungsprozessen und wieder Aneignungen verstanden werden. Die aus diesem Wettstreit resultierenden Verhältnisse festigen sich nicht nur durch die offensichtlichen Materialisierungen in Institutionen oder deren gewaltsamen Durchsetzung und Verteidigung, sondern auch durch Wertvorstellungen, Normen und Gewohnheiten. Einerseits bezieht dam Ansichten aus den uns umgebenden materiellen Verhältnissen. Gleichzeitig gestalten wir gesellschaftliche Verhältnisse auf der Grundlage unserer Ansichten und Verhaltensweisen. Eine emanzipatorische Praxis kann nur versuchen auf beide Ebenen einzuwirken.
Da Herrschaft sowohl verinnerlicht als auch materiell gefestigt ist, stellte sich die Frage, wo diese Praxis ansetzen soll. Sollte dam zuerst auf die materielle Veränderung zB von Institutionen zielen oder ist es wichtig auf bestehende Diskurse einzuwirken? Die Welt der Vorstellungen ist nicht von materiellen Verhältnissen trennbar. Sie verändern sich gemeinsam und bedingen sich gegenseitig. Die Frage ist genauso müßig wie die Frage ob die Henne oder das Ei zu erst da waren. Ohne Henne kein Ei und ohne Ei keine Henne. Die Frage lässt sich daher nicht einseitig auflösen und es gibt auch kein Patentrezept für gesellschaftliche Transformation. Es kann keinen materiellen Wandel ohne einen diskursiven und umgekehrt geben. Beide Ebenen müssen in die Politische Analyse miteinbezogen werden und die daraus resultierende Praxis sollte auf beiden Ebenen ausgetragen werden. Viele Arbeitslose die sich auf den Versuch beschränken, sich die Teilnahme am gesellschaftlichen Reichtum anzueignen, bleiben nur sehr begrenzte Möglichkeiten. Entweder wird der Staat um Almosen angebettelt oder er wird auf das „Recht auf Arbeit“ verwiesen und hofft so von der stigmatisierten Arbeitslosigkeit befreit zu werden. Erkennt dam Arbeitslosigkeit jedoch als eine dem Kapitalismus immanente Notwendigkeit, wird die Sinnlosigkeit dieser Forderungen klar. Gesteht dam sich zusätzlich ein, wie sinnlos viele Erwerbsarbeiten sind und wie unangenehm die meiste Arbeit ist, sollte dam um einen emanzipatorisch Anspruch gerecht zu werden, neben der Forderung nach Reichtum auch versuchen sich den Begriff Arbeitslosigkeit anzueignen. Die Parole gegen das bedenkliche Menschenrecht sollte eigentlich „Arbeitslosigkeit für Alle“ lauten und Arbeitslosigkeit als politisches Ziel gesellschaftlicher Entwicklung proklamiert werden.
Die aktuelle Aneignungseuphorie in herrschaftskritischen Gruppen bezieht sich meistens auf jeglichen Verstoß gegen die bestehende Eigentumsordnung. So wird jeder kleine Diebstahl schnell zum Großangriff gegen Kapitalismus gehypt, solange er zumindest bei Unternehmen oder „Reichen“ durchgeführt wird. Dieses Verständnis resultiert wahrscheinlich aus der aktuellen neoliberalen Enteignungsphase die Menschen zunehmend von den für ihre Existenz notwendigen Voraussetzungen abschneidet. Bei dieser Form der „Aneignung“ handelt es sich um „soziale Notwehr“, den legitimen Versuch sich den (notwendigsten) Konsum von Waren zu sichern. Diese "Aneignung" ist aber auf keinen Fall per se emanzipatorisch. Oft zielt sie in sozialdemokratischer Manier bloß auf eine kurzfristige Umverteilung innerhalb des bestehenden Rahmens und nicht auf langfristige gesellschaftlich anwendbare Perspektiven ab, weil ihr auch keine tiefgreifende (=radikale) Gesellschaftskritik zugrunde liegt. (Die einzige Perspektive, die sich aus der Verallgemeinerung einer solchen Praxis ergibt, wäre eine Welt von Räuberbanden und Plündrerei aller gegen alle.) Die sozialen Beziehung und gesellschaftlichen Reproduktionsformen, die jene prekären Lebenssituationen schaffen, uns täglich unterwerfen und Menschen zunehmend dem Lebensnotwendigsten berauben bleiben dabei unberührt. Grundsätzlich begrüßenswerte Fabrikbesetzungen in Argentinien haben hauptsächlich versucht den Besitz der Hand weniger zu entreisen und allen dort Arbeitenden zu übertragen. Das hat hauptsächlich die Eigentumsverhältnisse verschoben und nichts an Lohnarbeit, Produktion von Waren, dem Tausch am Markt etc. verändert. Sicherlich haben sich die ArbeiterInnen dabei ein gehöriges Maß an Selbstbestimmung zurückerobert. Doch ein ungeheures Potenzial ging dadurch verloren, die wichtigsten Funktionen der kapitalistischen Reproduktion zumindest praktisch nicht in Frage zu stellen und weiterhin fast ausschließlich für den Markt zu produzieren. Notwendigerweise verwandelte sich die direkte Ausbeutung durch die BesitzerInnen in abstraktere Selbstausbeutung bedingt durch weiterhin wirksame Zwänge, wie verwertungs- oder wettbewerbsbedingten Effizienzdruck. Eventuell wäre es möglich gewesen vermehrte tauschfreie Kooperationen mit anderen selbstverwalteten Projekten aufzubauen und sich so neben der Fabrik auch gleich neue Formen der Reproduktion anzueignen.
Gefahren von Aneignung Aneignung als politische Praxis ist sicherlich ein Fortschritt zu den von Demokratie- und Staatsfetischismus getragenen Praxen der meisten politischen Gruppen, die damit Herrschaft sogar noch legitimieren und stabilisieren. Der Versuch die herrschenden Kräfte im Staat durch Appelle zur Einsicht in ihre eigene Herrschaft und zu einem moralischeren Verhalten zu bewegen, hat sich über Jahrhunderte als sinnlos erwiesen. Im jedem Aneignungsakt liegt bereits ein geistiger Bruch, ein Infragestellen der bestehenden Ordnung. Entstehen aus diesen individuellen Akten Bewegungsmomente, öffnet sich ein Tor zu einer Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse, die aber keineswegs positiv sein muss. „Aneignung“ ohne eine klare Ausrichtung kann leicht in die Enteignung anderer Gruppen kippen. Nichts ist bloß in falschen Händen, die Verhältnisse an sich sind falsch. Wo der Aneignungsakt nur von Emotionen getrieben wird und diese fundamentale Gesellschaftsanalyse fehlt, können diese viel zu leicht mit oberflächlichen populistischen Inhalten gefüllt werden. Politische Probleme werden so in eine Feindgruppe projiziert, die nur noch enteignet oder gar eliminiert gehört. Politisches Kampagnen wie Boykotts gegen den Krieg, die sich gegen die „bösen“ Unternehmen richten, die angeblich die Hauptschuld trifft, sind die harmlosen Vorboten. Die Vermutung liegt nahe, dass die neoliberale Enteignungswelle sich noch sehr lange fortsetzen wird und sich die prekäre Lage vieler Menschen noch um ein vielfaches verschlimmern wird. Besonders in einer Gesellschaft wie der österreichischen, die ihren Hang zum Faschismus, bereits mehrmals unter Beweis gestellt hat, ist diese Gefahr von zentraler Bedeutung.
Der Text beabsichtigt nicht die Tätigkeit der Gruppe Freiraum über Arbeitslosenbewegungen, argentinischen Fabrikbesetzungen etc. zu erheben. Die vorliegende Kritik soll dabei helfen aus bestehenden Erfahrungen zu lernen. Im Gegenteil empfinden wir scharfe Kritik an eigenen Strukturen noch wichtiger als an „linken“ Projekten. Die materielle Aneignung des Areals im alten AKH darf lediglich als Mittel dienen um Räume zu öffnen in denen mit neuen herrschaftsfreieren sozialen Beziehung und neuen Reproduktionsformen, die mehr auf die Bedürfnisse aller Menschen eingehen, experimentiert werden kann. Ein Ort an dem Alternativen zum Bestehenden erfunden und modellhaft gelebt werden können.