Still working to recover. Please don't edit quite yet.
Difference between revisions of "umgang-mit-justiz"
(→Warum das alles?) |
|||
(One intermediate revision by one other user not shown) | |||
Line 1: | Line 1: | ||
+ | ==Warum das alles?== | ||
+ | ''Dieser Text ist im AntiCastorNetz Magdeburg entstanden, dessen AktivistInnen seit 2001 eine Vielzahl politischer Prozesse wegen Anti-Atom-Aktionen geführt haben und sich auch kritisch mit dieser Praxis auseinandergesetzt haben.'' | ||
+ | Uns ist völlig klar, dass wir auf dem Instanzenweg keine Veränderung der Gesellschaft, nicht die Abschaltung der Atomanlagen bewirken können. Wir sehen in diesen Verfahren aber eine Möglichkeit, unsere Anliegen öffentlich zu thematisieren und so politischen Druck auf die Verantwortlichen auszuüben. | ||
+ | |||
+ | Politische Prozesse ermöglichen das Einbringen radikaler Positionen in die öffentliche Diskussion. Gleichzeitig können wir die Ablehnung solch fauler Kompromisse, wie den Atom-"Konsens", klarmachen. Juristisch aussichtslose Forderungen können wir inhaltlich begründen, verdeutlichen, dass wir eine Abstrafung durch das System ablehnen, zeigen, dass unsere Vorstellungen von einer anderen, besseren Welt im Widerspruch zum bestehenden System stehen. | ||
+ | |||
+ | Es gibt verschiedene Menschen, die den Bezug auf Gesetze in ihren Verfahren im Grundsatz ablehnen, mit unterschiedlichen Herangehensweisen bei der Führung politischer Prozesse. Eigentlich stützen wir das System, wenn wir uns auf seine Gesetze berufen. Denn damit erkennen wir diese an und schaffen den Eindruck, dass Gesetze eine bessere Welt auch innerhalb dieses Systems ermöglichen könnten. Aber Gesetze sind immer Herrschaft, egal wie gut sie gemeint sein sollten. Eine geistig entwickelte Gesellschaft sollte zu einem Zusammenleben miteinander, füreinander fähig sein. Ein Leben, das auf Freiwilligkeit und Kooperation statt auf Zwang und Konkurrenz aufbaut. | ||
+ | |||
+ | Ganz ohne den Bezug auf Gesetze würden die meisten Verfahren im Ansatz steckenbleiben., da sie juristisch als offensichtlich unbegründet bzw. als mit dem Vorwurf nicht in Zusammenhang stehend abgelehnt würden. Wir sollten das Justiz-System verstehen und wissen, auf welchen Vorschriften es beruht. Dann können wir juristisch begründen, warum unsere Argumentation gehört werden muss. | ||
+ | Wichtig ist, dass wir uns in der konkreten inhaltlichen Argumentation nicht auf juristisches Fachgesimpel einlassen. Dieses ist für die Vermittlung unserer Inhalte an die Öffentlichkeit eh meist unverständlich. Außerdem gehen durch reine Paragraphen-Argumentationen die Inhalte verloren. | ||
+ | Eine Ausnahme sehen wir da, wo wir uns auf Paragraphen berufen können, die offensichtlich im Widerspruch zum restlichen System stehen. Dies sind beispielsweise die Grund- und Menschenrechte (nicht das Grundgesetz mit seinen Beschränkungen!). Diese Rechte stehen in klarem Widerspruch zu all den anderen einschränkenden Gesetzen (z.B. Polizeigesetze). | ||
+ | |||
+ | Ein anderes Beispiel sind der § 16 OWiG oder das Widerstandsrecht nach Art. 20 GG. Wir denken, dass auch diese bei konsequenter Umsetzung einen Widerspruch zur bestehenden Herrschaftspraxis darstellen. Sollte ihre Anwendung anerkannt werden, wäre ein Großteil der politischen Aktionen plötzlich legal und nicht mehr verfolgbar. Der § 16 OWiG besagt, dass "nicht rechtswidrig handelt, wer einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr" mit Ordnungswidrigkeiten entgegentritt, die geeignet sind, die Gefahr zu beseitigen. Einen ähnlichen Paragraphen gibt es auch für Straftaten. Art. 20 GG erlaubt Widerstand "gegen jeden, der es unternimmt diese (verfassungsmäßige) Ordnung zu beseitigen, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist". | ||
+ | |||
+ | Die Konsequenz einer Umsetzung dieser Widerstandsrechte wäre für politische Betätigungen immens. Deshalb hat es sich in der Rechtsprechung auch durchgesetzt, diese Paragraphen für nicht anwendbar zu erklären. | ||
+ | |||
+ | Natürlich ist zunächst das Ziel von Gerichtsverfahren diese zu gewinnen. Gelingt es nicht, ist dies nicht unbedingt eine Katastrophe - vielleicht umso besser, um die Ablehnung des bestehenden Systems zum Ausdruck zu bringen. Wir müssen in diesen Verfahren immer wieder deutlich machen, dass ein Sieg nur eine kleine Verbesserung bedeuten würde und die grundsätzliche Ablehnung des Herrschaftssystems nicht ersetzt. Ob uns die Verbindung von Herrschaftkritik und die Durchsetzung unserer Forderungen auf dem Rechtsweg immer gelingen wird, ist nicht sicher - das wird also eine wichtige Zielstellung für unsere politischen Gerichtsverfahren sein. | ||
+ | |||
+ | [[Kategorie:Handbuch der Kreativen Antirepression]] |
Latest revision as of 16:45, 15 March 2007
Warum das alles?[edit]
Dieser Text ist im AntiCastorNetz Magdeburg entstanden, dessen AktivistInnen seit 2001 eine Vielzahl politischer Prozesse wegen Anti-Atom-Aktionen geführt haben und sich auch kritisch mit dieser Praxis auseinandergesetzt haben.
Uns ist völlig klar, dass wir auf dem Instanzenweg keine Veränderung der Gesellschaft, nicht die Abschaltung der Atomanlagen bewirken können. Wir sehen in diesen Verfahren aber eine Möglichkeit, unsere Anliegen öffentlich zu thematisieren und so politischen Druck auf die Verantwortlichen auszuüben.
Politische Prozesse ermöglichen das Einbringen radikaler Positionen in die öffentliche Diskussion. Gleichzeitig können wir die Ablehnung solch fauler Kompromisse, wie den Atom-"Konsens", klarmachen. Juristisch aussichtslose Forderungen können wir inhaltlich begründen, verdeutlichen, dass wir eine Abstrafung durch das System ablehnen, zeigen, dass unsere Vorstellungen von einer anderen, besseren Welt im Widerspruch zum bestehenden System stehen.
Es gibt verschiedene Menschen, die den Bezug auf Gesetze in ihren Verfahren im Grundsatz ablehnen, mit unterschiedlichen Herangehensweisen bei der Führung politischer Prozesse. Eigentlich stützen wir das System, wenn wir uns auf seine Gesetze berufen. Denn damit erkennen wir diese an und schaffen den Eindruck, dass Gesetze eine bessere Welt auch innerhalb dieses Systems ermöglichen könnten. Aber Gesetze sind immer Herrschaft, egal wie gut sie gemeint sein sollten. Eine geistig entwickelte Gesellschaft sollte zu einem Zusammenleben miteinander, füreinander fähig sein. Ein Leben, das auf Freiwilligkeit und Kooperation statt auf Zwang und Konkurrenz aufbaut.
Ganz ohne den Bezug auf Gesetze würden die meisten Verfahren im Ansatz steckenbleiben., da sie juristisch als offensichtlich unbegründet bzw. als mit dem Vorwurf nicht in Zusammenhang stehend abgelehnt würden. Wir sollten das Justiz-System verstehen und wissen, auf welchen Vorschriften es beruht. Dann können wir juristisch begründen, warum unsere Argumentation gehört werden muss. Wichtig ist, dass wir uns in der konkreten inhaltlichen Argumentation nicht auf juristisches Fachgesimpel einlassen. Dieses ist für die Vermittlung unserer Inhalte an die Öffentlichkeit eh meist unverständlich. Außerdem gehen durch reine Paragraphen-Argumentationen die Inhalte verloren. Eine Ausnahme sehen wir da, wo wir uns auf Paragraphen berufen können, die offensichtlich im Widerspruch zum restlichen System stehen. Dies sind beispielsweise die Grund- und Menschenrechte (nicht das Grundgesetz mit seinen Beschränkungen!). Diese Rechte stehen in klarem Widerspruch zu all den anderen einschränkenden Gesetzen (z.B. Polizeigesetze).
Ein anderes Beispiel sind der § 16 OWiG oder das Widerstandsrecht nach Art. 20 GG. Wir denken, dass auch diese bei konsequenter Umsetzung einen Widerspruch zur bestehenden Herrschaftspraxis darstellen. Sollte ihre Anwendung anerkannt werden, wäre ein Großteil der politischen Aktionen plötzlich legal und nicht mehr verfolgbar. Der § 16 OWiG besagt, dass "nicht rechtswidrig handelt, wer einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr" mit Ordnungswidrigkeiten entgegentritt, die geeignet sind, die Gefahr zu beseitigen. Einen ähnlichen Paragraphen gibt es auch für Straftaten. Art. 20 GG erlaubt Widerstand "gegen jeden, der es unternimmt diese (verfassungsmäßige) Ordnung zu beseitigen, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist".
Die Konsequenz einer Umsetzung dieser Widerstandsrechte wäre für politische Betätigungen immens. Deshalb hat es sich in der Rechtsprechung auch durchgesetzt, diese Paragraphen für nicht anwendbar zu erklären.
Natürlich ist zunächst das Ziel von Gerichtsverfahren diese zu gewinnen. Gelingt es nicht, ist dies nicht unbedingt eine Katastrophe - vielleicht umso besser, um die Ablehnung des bestehenden Systems zum Ausdruck zu bringen. Wir müssen in diesen Verfahren immer wieder deutlich machen, dass ein Sieg nur eine kleine Verbesserung bedeuten würde und die grundsätzliche Ablehnung des Herrschaftssystems nicht ersetzt. Ob uns die Verbindung von Herrschaftkritik und die Durchsetzung unserer Forderungen auf dem Rechtsweg immer gelingen wird, ist nicht sicher - das wird also eine wichtige Zielstellung für unsere politischen Gerichtsverfahren sein.